Die Oder Ich
Würsten, die sie Mutter immer geschenkt hat, die Mutter stets fortgeworfen hat, abends im Dunkeln vom Balkon, hinunter zu den streunenden Katzen. »Riech die mal, Horschi, die sind doch vergammelt, die will uns wohl vergiften.« Die Katzen aber zankten sich um die Ketten mit verfallenem Fleisch gefüllter Därme, zerrten sie fauchend fort ins Gebüsch und mästeten sich daran.
Schwächliche Töne leiert die Alte aus dem Instrument, bis sie die Hände auf den Rücken wirft und einen Schritt näher tritt, Speichel klebt wie Leim an ihrem spitzen Kinn, Kurbjuweit weicht in seinen Flur zurück, aber sie folgt ihm, öffnet die dunkle Höhle ihres Mundes, singt ein Lied mit hoher Fistelstimme, eine Strophe nur, die Worte versteht er zwar, aber er kann sie sich nicht merken, ein Lied zum neuen Jahr, Glück und Segen, Gesundheit für alle Zeit oder so etwas. Dann klappt sie ihre Hände wieder vors Gesicht und bläst den Refrain in ihre Harmonika und ihre Backen zu kleinen Ballons, wirft die Arme wie eine aufgezogene Spieluhr wieder nach hinten und rührt ihren Schoß.
»Glück und Gottes Segen zum neuen Jahr«, krächzt sie wieder, und aus einer anderen Falte ihrer Röcke zieht sie ein Körbchen und streckt es Kurbjuweit unter die Nase. »Zum Dank bitten wir um eine Gabe, eine kleine Gabe für eine, die dir Jutes wünscht.«
Kurbjuweit steht stumm und rührt sich nicht.
»Bitta sähr«, sagt die Alte. Ihre schwarzen Augen glimmen ihn an.
Er rührt sich nicht.
»Bitta sähr«, wiederholt sie.
Er rührt sich nicht.
»Wolln Se nix jeben nicht ’ner armen Frau?« Ihre Hand zittert und riecht nach Verwesung wie das Fleisch ihrer Würste.
Er rührt sich nicht.
Und dann flüstert sie, ihre Augen nur noch ein Schlitz: »Keen jutes Jahr sollste nich haben nich, wenn de nich teilen willst nich, und drei Mal verflucht soll sein dein neues Jahr, der Daifisoll enn schlächtes Jahr machen für dich, wenn de nix jeben willst nich ’ner armen Frau.«
Er rührt sich nicht. Er kann nicht.
Was sie weiter sagt, versteht er nicht. Kurbjuweit weicht zurück, sie aber verfolgt ihn Schritt um Schritt hinein in den Flur, den Bettelkorb drückt sie ihm fast ins Gesicht, während ihre gierige Hand nach dem Zipfel seiner Strickjacke greift. »So kommste mir nich fort nich, Jungchen, so nich.« Er reißt sich los, verhakt sich im Griff der Tür, seine fuchtelnden Hände treffen auf schlaffes Fleisch und dann auf etwas Hartes, Spitzes, ja Metallenes, er schreit auf, wirft sich herum.
Keuchend steht er hinter der verschlossenen Tür, hält den Atem an, horcht. Er muss sie fortgestoßen haben. Er ist gerettet. Er traut sich nicht, das Lid des Spions beiseitezuschieben. Er hat Angst vor dem schwarzen Blick der Alten. Immerhin wagt er es, ein Ohr an die Tür zu legen. Es rauscht nur, er saugt tief den Atem ein, hält ihn an, presst sich fest an die Tür. Und da! – Da hört er das Flüstern, eine einförmige leise Litanei, die langsam lauter wird, anschwillt, aufbraust, tiefer wird, umschlägt in ein Brummen, zur dunkel knisternden Stimme eines Mannes, zornig zischt es in fremder Sprache, Flüche müssen es sein, Verwünschungen, Bann- und Zaubersprüche, Hexereien jedenfalls, die Kurbjuweit von der Tür vertreiben, und trotzdem wird die Stimme mit jedem Schritt, den er weicht, lauter, vernehmlicher, bis sie in tiefem Bass ertönt und er den Spruch hört, ohne ihn zu begreifen: »Idsch do diabwa, idsch do diabwa!«
Kurbjuweit flieht aus dem Flur, stolpert rückwärts ins Wohnzimmer, zwingt die schiefe Tür knisternd in die Füllung, den Schlüssel ins Schloss, aber immer noch hört er ihn, den dunklen Spruch, er wirft sich aufs Sofa, presst sich die Fäuste vor die Ohren. Und hört ihn: »Idsch do diabwa, idsch do diabwa!«
Jetzt erst fühlt er den Schmerz, der wie ein Spieß seinen Rücken durchbohrt, und jetzt erst begreift er, dass dies der Fluch war, den die schwarze Hexe der Mutter auf den Sarg hingemurmelt hat.
14. Kapitel
In dem Horst Kurbjuweit etwas hört,
was sein schiefes Leben ganz aus der Bahn bringt
Es hat es vor drei Wochen angefangen, in den ersten Tagen des Januar, wenige Tage, nachdem die Hexe da war.
Es ist die Zeit, in der sich die Menschen, obwohl es noch lange Winter sein wird, schon auf den Frühling freuen, weil sie merken, dass die Sonne wieder steigt und es heller wird. Kurbjuweit spürt davon nichts, er ist des Lebens müde. Ein Stein liegt auf seinem Rücken, der will, dass er sich hinlegt auf das
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