Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Vermögensaufteilung angesprochen wurde, wollte er nichts von einem Wettstreit mit der Bielefelder Verwandtschaft wissen.
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|262| 19. »… und ich verpasse jemandem ein gewisses Trauma«
Die Entführung des Richard Oetker
R ichard Oetker bemerkte die Gefahr zu spät. Als Erster hatte der 25-jährige Student die Botanikvorlesung verlassen. Es war kurz vor sieben Uhr an einem düsteren Dienstagabend im Dezember 1976. Vom Hörsaalgebäude der Universität Weihenstephan in Freising bei München ging Oetker zu seinem Auto. Er hatte den Wagen, einen weißen VW Variant, in einer Parkbucht zwischen zwei Gebäuden abgestellt, die wie eine Sackgasse war. Als Richard Oetker sein Auto sah, fiel ihm auf, dass schräg dahinter ein VW-Bus stand. Das war merkwürdig. Oetker hatte sich angewöhnt, auf solche Dinge zu achten. Seit der Entführung des 28-jährigen Springreiters Hendrik Snoek einige Wochen zuvor war dem Sohn Rudolf-August Oetkers bewusst, dass er ein potenzielles Entführungsopfer war. Oetker hatte sich sogar bei der Polizei in Freising beraten lassen, wie er sich vor einem solchen Verbrechen schützen könnte.
»Ich bekam Angst, wollte zurück und drehte mich um«, erinnerte Oetker sich später an die Situation auf dem Parkplatz. »In dem Moment steht ein Mann in anderthalb bis zwei Metern Entfernung mir gegenüber.« Der Unbekannte war maskiert. Er trug eine Kosakenmütze, eine Brille und einen Oberlippenbart, der an den Mundwinkeln herunterhing wie bei einem Mongolen. Der Mann war kleiner als Oetker, der stattliche 1,93 Meter maß. Aber er trug eine Waffe in der Hand. Oetker bemerkte sogar einen Schalldämpfer. »Los, vorwärts, das Ding macht nur klack«, zischte der Fremde.
Richard Oetker leistete keinen Widerstand. »Ich hab’ mich umgedreht, es war mir klar, wo’s hingeht.« Er blickte auf den VW-Kastenwagen |263| und versuchte, dessen Farbe zu erkennen und sich das Kennzeichen zu merken. Der Täter verstand es, Oetker ein Gefühl der Unterlegenheit zu vermitteln. »Na, mein Richardchen, haben wir dich endlich!« Mit dem Lauf seiner Waffe deutete der Maskierte auf den VW-Bus, in dem eine große Holzkiste mit geöffnetem Deckel stand. »Reinsteigen!«, befahl er. Richard Oetker, unter Schock, aber nicht in Panik, tat, wie ihm geheißen.
Die Kiste war vermutlich 1,60 Meter lang, 60 Zentimeter breit und 70 Zentimeter hoch. Sie war zu klein, als dass Oetker ausgestreckt darin Platz gefunden hätte. Er legte sich nach eigener Erinnerung »wie ein Embryo im Mutterleib« in diese Kiste. Über ihm wurde der Deckel geschlossen. Bevor der Entführer die Tür zum Laderaum zuschlug, rief er seinem Opfer zu: »Pass auf, da kommen noch mehrere.«
Die Kiste war mit einer Gegensprechanlage ausgestattet. Bald, nachdem der VW-Bus losgefahren war, hörte Richard Oetker eine freundliche Stimme, die sich von der des Bewaffneten auf dem Parkplatz angenehm abhob. »Guten Abend, Herr Oetker. Von nun an bin ich für Sie zuständig. Dem Entführer werden Sie nicht mehr begegnen.« Die Stimme in dem kleinen Lautsprecher wollte von dem Gefangenen wissen, wie es ihm in der Kiste ginge. Die Luft sei schlecht, klagte Oetker, und die Dunkelheit unangenehm. Er sei außerdem sehr aufgewühlt.
Zu seiner Beruhigung hörte der Entführte, dass sich seine Lage bessern werde, sobald der VW-Bus sein Ziel erreicht habe. Die Stimme erklärte ihm, er sei entführt worden, um bei seiner Familie Lösegeld zu erpressen. »Ihr Leben ist nicht in Gefahr. Es geht uns nur ums Geld.«
Der Entführer stellte Oetker »Hafterleichterungen« in Aussicht, wenn er sich »kooperativ« verhielte. Als Erstes sollte Oetker an den Wänden der Kiste rechts und links nach Handschellen greifen, die dort mit Drahtseilen angebracht waren, und sich fesseln. Ob er Hunger habe, erkundigte sich die Stimme. Oetker verneinte. Ihm sei nur kalt. Der Student, der zusammengekauert in der Holzkiste lag, trug nur einen Pullover über dem Hemd. Oetker solle versuchen, sich etwas zu bewegen, riet die Stimme.
|264| Die Fahrt dauerte weniger als eine Stunde. Bevor der Wagen zum Stehen kam, registrierte Oetker, dass es bergab ging. Eine Tiefgarage, folgerte der Student. Tatsächlich war er aber auf einem Hof mit Höhenunterschieden. An den Hof grenzten mehrere Werkstätten. In einer davon wurde der VW-Bus geparkt. Über die Gegensprechanlage erhielt Oetker die Anweisung, eine Kapuze überzuziehen, die sich in der Kiste befand. Er hörte, wie zuerst die
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