Die Operation
Licht im Badezimmer brennen lassen, das nun bis vor das Bett ins Zimmer leuchtete.
Michael fasste die Zimmertür ins Auge und versuchte abzuschätzen, wie schnell er sie wohl erreichen, öffnen und hinter sich wieder schließen konnte. Das würde nicht lange dauern, aber es machte ihn nervös, dass er vollkommen schutzlos sein würde, solange er nicht einen gewissen Abstand zwischen sich und das Zimmer 408 gebracht hatte. Falls er jetzt ertappt wurde, dann wären sehr viel mehr Schwierigkeiten zu erwarten als vorhin, als Stephanie und Daniel das erste Mal ins Zimmer gekommen waren.
Während Michael noch Mut fasste, um seinen relativ sicheren Platz hinter dem Vorhang aufzugeben, ließ er den Blick durch das Zimmer streifen. Da fiel ihm ein schimmernder Gegenstand auf der Kommode direkt neben dem Blumengesteck auf. Er blinzelte und konnte nicht glauben, was er da sah. »Preiset den Herrn!«, flüsterte er. Es war die silberne Schachtel.
Staunend angesichts der Tatsache, dass ihm das Glück letztendlich doch hold gewesen war, holte Michael tief Luft und trat aus seinem Versteck hervor. Noch eine Sekunde lang zögerte er, lauschte, dann sprang er zu der Kommode, schnappte sich die Silberschachtel, ließ sie in seine Tasche gleiten und stürmte zur Tür hinaus. Zu seiner großen Erleichterung war der Flur leer. Schnell entfernte er sich vom Zimmer 408, hatte Angst sich umzudrehen und war voller Panik, jemand könnte ihn ansprechen. Erst als er beim Fahrstuhl angekommen war, erlaubte er sich einen Blick zurück. Der Flur war immer noch leer.
Ein paar Minuten später ging Michael durch die Drehtür des Hotels und trat hinaus in die Nacht. Noch nie hatte sich die Kälte eines Winterabends auf seinem geröteten Gesicht so gut angefühlt. Er entfernte sich schnell vom Eingang, und jeder Schritt war ein wenig federnder als der vorhergegangene. Die rechte Hand steckte in seiner Jackentasche und hielt die silberne Schachtel fest umklammert, als Andenken an das, was er soeben geleistet hatte. Ein Hochgefühl durchströmte ihn, ähnlich der Euphorie, die er nach der Absolution gelegentlich empfand, wenn seine Beichte besonders schwierig gewesen war. Es kam ihm vor, als ob die anstrengenden Irrungen und Wirrungen im Verlauf der Wiedererlangung der Blutprobe seines Retters diese Erfahrung noch sehr viel intensiver gemacht hätten.
Michael stieg am Taxenstand des Hotels in einen Wagen und gab dem Fahrer die Adresse der Verwaltung der Erzdiözese. Er lehnte sich zurück und versuchte sich zu entspannen. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. Es war fast halb sieben. Über zwei Stunden lang war er hinter dem Vorhang des Paares gefangen gewesen! Aber es war ein Alptraum mit Happy End geworden, die silberne Schachtel in seiner Tasche war der Beweis dafür.
Michael schloss die Augen und überlegte freudig, wann er wohl am besten James Kardinal O’Rourke anrufen sollte, um ihm die unglückselige Entwicklung hinsichtlich der Identität der so genannten Kundschafter und die sich anschließende, endgültige Lösung des Problems mitzuteilen. Jetzt, wo er in Sicherheit war, musste er über seine Leiden lächeln. Dass er sich hinter einem Hotelvorhang versteckt hatte, während die beiden sich geliebt hatten, war so absurd, dass man es kaum glauben konnte. In gewisser Hinsicht wünschte er, er könnte es dem Kardinal erzählen, aber ihm war klar, dass das unmöglich war. Der einzige Mensch, dem er es überhaupt erzählen würde, war sein Beichtvater, und selbst das würde nicht einfach werden.
Michael kannte den Zeitplan des Kardinals und beschloss daher, erst gegen zweiundzwanzig Uhr dreißig italienischer Zeit anzurufen. In der Stunde vor dem Abendessen war der Kardinal in der Regel am besten erreichbar. Worauf Michael sich am meisten freute, war, dass er im Gespräch nicht direkt berichten, sondern lediglich andeuten wollte, dass er selbst es gewesen war, der eigenhändig und nur seiner Eingebung folgend eine Situation gerettet hatte, die die Kirche im Allgemeinen und den Kardinal im Besonderen in eine peinliche Lage hätte bringen können.
Als das Taxi vor dem Verwaltungsgebäude anhielt, fühlte Michael sich schon fast wieder normal. Sein Herz klopfte zwar immer noch heftig, aber er schwitzte nicht mehr und atmete vollkommen regelmäßig. Das einzige Problem war, dass sein Hemd und seine Unterwäsche von der Tortur völlig durchgeschwitzt waren, sodass ihn fröstelte.
Als Erstes ging Michael zu Valerio Garibaldi, mit dem er sich in
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