Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
Vom Netzwerk:
Tränen nahe zu sein.
    »Ich verstehe.« Wir gingen schweigend weiter. Ich dachte darüber nach, dass seine Reaktion zwar von Herzen kommen mochte, aber doch nur um ihn ging.
    »Gute Nacht«, sagte er knapp, als wir vor dem Hotel ankamen.
    »Nacht«, sagte ich und widerstand dem Drang, etwas von Selbstmitleid zu murmeln. Wer war ich auch, mir ein Urteil anzumaßen? Wenn Trauer in Raten verabreicht wurde, wie Kim bemerkt hatte, wer wollte es Michael Carmody verübeln, wenn er glaubte, genug bezahlt zu haben?
    In der Hotelhalle musste ich mich entscheiden: Aufzug oder Treppe. Auf dem Weg zum Aufzug hörte ich eine Stimme.
    »Entschuldigen Sie.«
    Ich sah nach links. Die dunkelhaarige Empfangsdame winkte mich zu sich. Ich änderte den Kurs und ging hinüber. Sie beugte sich über den Tresen und ermunterte mich mit einer Kopfbewegung, noch näher zu kommen. Ich las das Namensschild auf dem grauen Jackett: Keira.
    »Die Polizei hat uns gebeten, eine Warnung an unsere weiblichen Gäste weiterzugeben«, sagte sie mit leiser Stimme. »Besonders an allein reisende Damen. Sie sollten es vermeiden, nachts ohne Begleitung unterwegs zu sein, und niemals zu Fremden ins Auto steigen.« Keira hatte ihren Text in fast einwandfreiem Polizeijargon gelernt.
    »Wieso? Was ist los?« Ich schauspielerte ein bisschen.
    »Ich fürchte, das darf ich Ihnen nicht sagen.«
    Ich hatte den Eindruck, ich würde nur an Informationen
kommen, wenn ich weiter mitspielte. »Mein Gott, treibt sich etwa ein Mörder herum? Bitte sagen Sie mir die Wahrheit«, flehte ich.
    Keira war aufrichtig bestürzt. »Ähm … eine junge Frau ist verschwunden. So wie es jetzt aussieht, wurde sie entführt und getötet. Es ist allerdings fünf Jahre her …«
    Zeit, wieder ernst zu werden. »Haben Sie sie gekannt?«
    »Nicht im engeren Sinn. Sie hat in einer Bar gearbeitet, in die ich manchmal gegangen bin. Und ich habe sie einmal im Crabshell Klavier spielen sehen. Sie war sogar in der Nacht, in der sie verschwand, dort oben gewesen, deshalb muss sie auf dem Heimweg hier vorbeigekommen sein.«
    »Was glaubt man, ist ihr zugestoßen?«
    Keira vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war. »Es heißt, sie wurde oben bei den Klippen ermordet und ihre Leiche dann in der Flussmündung abgeladen. Ihr Mörder hatte also ein Auto und kannte sich aus in der …« Sie zog sich plötzlich zurück und beschäftigte sich mit einem Formular. Ein Paar hatte die Bar verlassen und kam den Zimmerschlüssel holen.
    Ich dankte ihr und stieg in den Lift.
    Es war Nuala Langan gewesen, die forensische Archäologin, die mir eingegeben hatte, Lena könnte oben auf den Klippen ermordet und ihre Leiche von dort fortgeschafft worden sein. Nährte diese Ansicht jetzt Überlegungen der Polizei, der Mörder könnte erneut zuschlagen? Wenn ja, war ich ein ziemliches Risiko eingegangen, als ich nachts allein dort hinaufspaziert war. Und es verlieh Gus Carmodys Warnung, allein auf den Klippen herumzulaufen, einen leicht düsteren Unterton.
    Aber ich war an der Stelle in der Flussmündung gewesen, wo die Leiche angeblich abgelegt worden war – oder jedenfalls ganz in der Nähe -, und der Mörder hätte übermenschliche
Kräfte gebraucht, um sie über die Wiesen dorthin zu schleppen; über die felsige Küste wäre es gänzlich unmöglich gewesen. Hatte es vielleicht mehr als einen Tatbeteiligten gegeben? Es hätte immer noch eine beträchtliche Aufgabe dargestellt, besonders nachts. Und dann hätten sie die Leiche noch zerstückeln und begraben oder verteilen müssen – was alles zu ihrer Entdeckung hätte führen können. Wäre Lenas Leiche dagegen in der Flussmündung zerstückelt worden, hätte sie von dort etappenweise und zu jeder Tages- und Nachtzeit fortgeschafft werden können. Es wäre auch eine mögliche Erklärung für den vereinzelten Kieferknochen gewesen – ein Tier konnte ihn genommen haben, ehe der Mörder wiedergekommen war, um den Rest zu holen. Und es würde meine wachsende Überzeugung stärken, dass sie dort überhaupt ermordet worden war.
    Ehe ich in meinem Zimmer Licht machte, ging ich auf den Balkon hinaus, um in klarer Luft nachzudenken.
    Was sollte ich von Barry McGann halten? Der Typ hatte offenbar gern alles unter Kontrolle, aber er schien damit eine gewisse Unsicherheit zu verbergen. Es gab außerdem keinen Zweifel, was er in Bezug auf mich im Sinn hatte, und es weckte undeutlich einen tierischen Teil von mir. Oder vielleicht war ich auch entsprechend stimuliert, weil

Weitere Kostenlose Bücher