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Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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passiert war.
    »Wie schrecklich, dass Sie es entdecken mussten. Und was für ein Jammer, dass dieser fürchterliche Mensch an den Ermittlungen beteiligt ist.«
    »Ja, ich muss sagen, es erfüllt mich nicht gerade mit Zuversicht.«
    Ich hörte die Flut an den Beton unter mir schwappen. Die Gezeiten wechselten. Costello würde bald kommen müssen.
    »Haben Sie übrigens Charlottes Brief bekommen?«
    »Ja. Ich habe ihn gelesen.«
    »Und?«
    »Faszinierend. Mir sind jetzt auch ein paar Dinge klarer. Aber ich sehe nicht, wie er Sarahs Behauptung untermauern würde, der Gottesstein habe den Untergang der Intrinsic verursacht – außer natürlich, man glaubt an seine magischen Kräfte.«
    Kendrick lächelte. »Hm. Sarah konnte leichtgläubig sein, da haben Sie recht. Und in letzter Zeit war sie ziemlich abergläubisch geworden. Sie las aus den banalsten Dingen irgendeine Bedeutung heraus.«
    »Die Möwe. Oder der Umstand, dass ich klein bin wie Charlotte Brontë.«
    »Ja. Aber nebenbei bemerkt, Charlotte war reizlos – das sind Sie nicht.«
    »Danke, Giles, das ist sehr galant von Ihnen. Wie steht es dann mit dem Zeug auf der Plattenhülle von Gyna? Hat sie damals daran geglaubt? Oder überhaupt irgendwann einmal?«
    »Sie hat religiöse Überzeugungen gesammelt wie andere Leute Plüschtiere. Und vielleicht aus demselben Grund – als Ersatz für etwas Tieferes. Aber was in die Tiefe geht, hat auch Ecken und Kanten. Und es erfordert, dass man sich bindet, was nicht ihre Stärke war. Ihre Hinwendung zu dem Göttinnenkult war allerdings beständiger als üblich. Sie hat eine Menge darüber gelesen. Pflichtete der Vorstellung bei, Frauen hätten antike Gesellschaften in Europa beherrscht. Vielleicht weil ihre Erfahrungen mit ihrem Vater sie an dem Gedanken des vertrauenswürdigen Familienpatriarchen zweifeln ließen. Wir haben tatsächlich ziemlich viel darüber gesprochen, wie mir scheint – natürlich waren wir nie einer Meinung. Nach meiner persönlichen Ansicht kommt es nicht zum Patriarchat, weil man die Frauen beherrschen will, sondern um die jungen Männer zu kultivieren. Man muss sich nur ansehen, was aus männlichen Teenagern in Wohngebieten wird, wo die Mütter sie alleine großziehen und die Väter sich vor jeder Verantwortung drücken.«
    »Hört sich an, als hätten Sie viel über das Thema nachgedacht.«
    »Das musste ich wohl. Ich habe Ihnen erzählt, dass ich Dozent bin. Mein Thema ist Verhaltenspsychologie.«
    »Aha! Dann hat Ihr Interesse an den Brontës vielleicht mehr mit ihrer Familienkonstellation zu tun als mit ihren Schriften.«
    »Das stimmt. Aber natürlich geben ihre Schriften Einblicke in die Brontës als Menschen, als Familie. Selbst Sarah hat Charlotte und Jane manchmal durcheinandergebracht, wenn sie über sie sprach. Weil Charlotte ziemlich viel Aufhebens darum macht, dass ihre Heldin klein und unscheinbar war wie sie selbst. Es wird für den heutigen Geschmack fast ein bisschen schlüpfrig, wenn sie einen Gastwirt Jane als körperlich
›beinahe wie ein Kind‹ beschreiben lässt. Und ein paar Seiten weiter lässt sie Jane auf Mr. Rochesters Schoß sitzen. Aber so wie Charlotte mithilfe von Jane ihre Ansichten über das Recht auf Unabhängigkeit von Frauen ausdrückte, wollte sie, glaube ich, auch darauf hinweisen, dass eine winzige, unscheinbare Person wie sie selbst zu großer Leidenschaft fähig ist.«
    »Und war Sarah ebenfalls einer Ihrer Gegenstände?«
    Kendrick antwortete nicht sofort. Als ich den Kopf wandte, war er damit beschäftigt, sich die Brille am Hemdzipfel abzuwischen. Er setzte sie wieder auf und lächelte schief. »In gewisser Weise ja. Aber sie wusste es. Es war vermutlich … nun ja, wenn man so viele langweilige Bücher über menschliches Verhalten gelesen und so viele langweilige Vorträge darüber gehalten hat, dann ist es wohl aufregend, jemandem zu begegnen, der ein lebendes soziales Experiment zu sein scheint – eins, das nicht von unfähigen Politikern und Stadtplanern ausgedacht wurde. Sarah wusste es nicht, als sie heranwuchs, aber genau das war sie – ein Experiment. Was passiert, wenn man großen Reichtum mit extremem Hedonismus mischt und dann Kinder in das Ganze wirft. Werden sie sich gegen ihre Erziehung wenden und puritanisch werden? Werden sie versuchen, ihre Eltern in deren Ehrgeiz, ohne moralischen Kompass zu leben, noch zu übertreffen? Werden brave Mittelklassemenschen mit normalen Jobs und normalen Kindern aus ihnen? Am Ende hat man sie und ihren

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