Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
sie bezahlt hatte, drängten die anderen Kunden nach vorn, und Mara musste sich entscheiden: Auf die Straße? Oder wollte sie sich in das Café setzen und darauf hoffen, dass der Mann die Geduld verlor und verschwand?
Nein, nur das nicht. Wenn sie sich an einem der Tische niederließ, würde er sich wahrscheinlich einfach dazusetzen und sie ansprechen.
Mara stellte sich an die Ecke, knabberte an ihrem Brötchen und dachte nach.
Einen Moment lang war sie versucht, selbst auf ihn zuzugehen. War es vielleicht sogar das Beste, die Sache hinter sich zu bringen? Einfach zu sagen, was man zu sagen hatte?
Meine Güte, sie war frei. Wem war sie Rechenschaft schuldig? Sie konnte machen, was sie wollte. Sie konnte der Presse sagen, was sie für richtig hielt.
Sie hatte keine Lust, das Brötchen weiterzuessen. Sie stopfte es in die Papiertüte zurück, nahm den Rucksack herunter und packte sie hinein.
Wo war der Mann jetzt?
Sie sah hinüber, und in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
Er wusste jetzt, dass sie ihn entdeckt hatte. Dass sie ihn identifiziert hatte. Sie war sich ganz sicher.
Jetzt hätte man sich treffen können. Einfach bereden können, was es zu bereden gab. Fragen beantworten, die man beantworten wollte. Antworten ablehnen, wenn es zu persönlich wurde, was John betraf.
Doch der Mann reagierte nicht.
Er sah Mara nur an.
Langsam kroch ein Angstgefühl in ihr hoch.
War das überhaupt ein Journalist? Oder ein kranker Stalker, der sie verfolgte?
Hatte sie sich jemals darüber Gedanken gemacht, dass sie ja eine Bekanntheit war? Dass es da draußen in der Welt Verrückte gab, die sich Gott weiß was ausmalten?
Und jetzt war sie in deren Welt. Ungeschützt. Sie hatte den Panzer der PR- Leute, der Betreuer, der Veranstalter und wer sonst noch damit zu tun hatte, verlassen.
Sie stand hier einsam auf der Straße, und sie konnte nicht verhindern, dass der Typ mit den eng zusammenstehenden Augen mitbekam, wohin sie ging.
Und sie hatte keinen Plan.
Ein tiefes Motorenbrummen näherte sich. Um Mara herum entstand Gedränge. Bremsen quietschten. Druckluft entwich mit hellem Pfeifen.
Ein Bus hielt.
Mara brauchte gar nicht viel zu tun. Es reichte, sich von der Menge mittragen zu lassen, hinein in den Fahrgastraum, der immer enger und enger wurde. Sie sah sich nach der anderen Straßenseite um. Der Mann hatte erkannt, was geschehen war, und hechtete herüber. Noch war die hohe Falttür geöffnet. Eine Frau mit einem Kinderwagen arbeitete sich gerade vor. Die Leute drängten zur Seite. Sie schaffte es durch die Lichtschranke.
Als die Tür zuging, kam der Mann um die Ecke. Er schlug mit beiden Händen gegen die Tür, doch der Bus ruckte an. Das Bild des Mannes verschwand, das Café wurde sichtbar, wanderte dann aber auch vorbei.
»Sie haben sie also verloren?«
Quint saß in seinem Hotelzimmer auf dem Bett und betrachtete den kleinen Fernseher, der auf dem eingebauten Schreibtisch stand.
»Sie ist in einen Bus gestiegen. Ich konnte es nicht verhindern. So eine Überwachung ganz alleine durchzuführen ist nicht leicht.«
»Hören Sie … diese Frau fährt nicht so einfach Bus. Wo wollte sie hin? Was hat sie dazu veranlasst?«
Quint dachte nach. »Ich glaube, sie hat Angst.«
»Vor Ihnen?«
»Nein, sie muss ausgerissen sein. Aus dem Hotel. Andererseits passt das alles nicht zusammen. Grittis Bruder Al hat die Geschäfte übernommen. Er hat der Presse gesagt, er werde die Tournee weiterlaufen lassen. Es sei ein Erfolg. Und er wollte auf das Geschäft nicht verzichten.«
»Das hat er gesagt?«
»Sie können es überall nachlesen.«
»Ich kann Ihnen ein Geheimnis verraten: Al Gritti hat gelogen. Wenn er nur einen Funken Verstand besitzt, wird er die Tournee abbrechen. Und ich bin sicher, dass genau das geschehen ist.«
»Sie meinen, er hat sie gefeuert?«
»Sieht es nicht danach aus?«
»Vielleicht. Aber warum hat er dann der Presse …?«
»Aus rein strategischen Gründen. Jedenfalls sind wir jetzt am Zug. Wir haben sie da, wo wir sie haben wollen. Wir können ihr jetzt zeigen, wer sie wirklich ist.«
»Wer sie wirklich ist?« Quint schüttelte den Kopf. »Das haben Sie schon einmal gesagt. Aber ich glaube nicht, dass ich das verstanden habe. Geht es darum herauszufinden, wer ihre Eltern sind? Woher sie stammt?«
»Das kann man so sagen.«
»Wenn ich das richtig recherchiert habe, kommt sie von ganz unten. Sie hat auf der Straße gelebt. Und jetzt wollen Sie sie in
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