Die Päpstin
besaß noch immer ihre antike Decke aus Pflastersteinen, die vor Jahrhunderten von
den Römern gelegt worden war.
Gerold trieb sein Pferd in einen leichten Galopp. Vielleicht konnten sie jetzt die in den Bergen verlorene Zeit wettmachen.
Ungewöhnlich später Schneefall hatte die schmalen und steilen Alpenpässe äußerst gefährlich gemacht; zwei von Gerolds Männern
waren in den Tod gestürzt, als ihre Pferde auf Eis und Schnee ins Rutschen geraten waren. Schließlich mußte Gerold sogar einen
Halt befehlen, bis die Verhältnisse sich gebessert hatten; diese Verzögerung ließ seine Truppe noch weiter hinter die Hauptstreitmacht
der kaiserlichen Armee zurückfallen, die sich mittlerweile bereits Rom nähern mußte.
Egal. Lothar würde ihn, Gerold, wohl kaum vermissen. Seine Einheit, die zur Nachhut der kaiserlichen Armee zählte, war nur
zweihundert Mann stark und setzte sich aus niederen Landadeligen und kleinen Grundbesitzern zusammen. Für einen Mann von Gerolds
Rang war es ein beschämendes Kommando.
In den nunmehr drei Jahren, die seit der Schlacht von Fontenoy vergangen waren, hatte Gerolds Verhältnis zu Kaiser Lothar
sich zunehmend verschlechtert. Lothar hatte mit seinen rebellischen Brüdern schließlich eine Einigung erzielt: 843 war der
Vertrag von Verdun geschlossen worden, ein bemerkenswertes Beispiel für politische Taschenspielertricks, die es Lothar erlaubt
hatten, trotz seiner vernichtenden Niederlage bei |385| Fontenoy sowohl seine Herrschaftsgebiete als auch seine Krone zu behalten.
Dieserart von der lästigen Notwendigkeit befreit, Verbündete und Helfer zu gewinnen und zu umwerben, war Lothar tyrannischer
als je zuvor geworden; er hatte sich mit Speichelleckern und Jasagern umgeben, die jeden seiner politischen Schritte begeistert
bejubelten, mochten sie noch so verrückt sein.
Fideles
wie Gerold, die nach wie vor ehrlich ihre eigene Meinung vertraten, waren vom Kaiser nicht mehr gelitten. So hatte Lothar
den Ratschlag Gerolds und anderer Gefolgsleute in den Wind geschlagen, den militärisch unsinnigen Feldzug gegen Rom zu unterlassen.
»Unsere Truppen werden dringend an der friesischen Küste gebraucht«, hatte Gerold erklärt, »zum Schutz gegen die Normannen.
Ihre Raubzüge werden immer häufiger und zerstörerischer.«
Das stimmte. Im Jahr zuvor hatten die Normannen St. Wandrille und Utrecht angegriffen; im zurückliegenden Frühjahr waren sie
sogar die Seine entlanggesegelt und hatten Paris niedergebrannt. Dieser Raubzug hatte eine Schockwelle der Furcht über das
Land hinweggejagt: Wenn eine so große Stadt wie Paris, die noch dazu im Herzen Europas lag, vor diesen Barbaren nicht sicher
war, dann waren es kein Ort und kein Landstrich.
Doch Lothars Interesse blieb stur auf Rom gerichtet; denn diese Stadt hatte die Dreistigkeit besessen, Papst Sergius zu weihen,
ohne vorher die Zustimmung des Kaisers einzuholen – eine Unterlassung, die Lothar als persönliche Beleidigung betrachtete.
»Schickt eine Abordnung zu Sergius und laßt ihn wissen, daß Euch sein Schritt mißfällt«, riet Gerold dem Kaiser. »Bestraft
die Römer, indem Ihr ihnen das Lehensgeld vorenthaltet. Aber laßt die waffenfähigen Männer hier, wo sie wirklich gebraucht
werden.«
Angesichts dieser Herausforderung seiner kaiserlichen Macht hatte Lothar äußerst wütend reagiert und Gerold zur Strafe den
Befehl über diese unbedeutende kaiserliche Einheit der Nachhut übertragen.
Auf der gepflasterten Straße kamen die Männer gut voran und legten fast dreißig Kilometer zurück, bevor die Dämmerung hereinbrach.
Doch auf der ganzen Strecke kamen sie an |386| keiner einzigen Stadt oder einem Dorf vorbei. Gerold hatte sich schon damit abgefunden, daß er und seine Leute eine weitere
ruhelose Nacht am Straßenrand verbringen mußten, als er plötzlich eine Rauchspirale entdeckte, die sich träge über einer Baumreihe
drehte.
Deo gratias!
Vor ihnen lag ein Dorf, zumindest irgendeine Art von Ansiedlung. Also konnten Gerold und seine Männer sicher sein, daß eine
Nacht mit ruhigem, wohltuendem Schlaf auf sie wartete. Noch hatten sie nicht die Grenze zum päpstlichen Machtbereich überquert;
das langobardische Königreich, durch das sie ritten, war kaiserliches Hoheitsgebiet, und die Gesetze der Gastfreundschaft
verlangten, daß Fremde höflich aufgenommen wurden.
Und wenn schon eine Übernachtung in Häusern nicht möglich ist,
dachte Gerold,
so doch bestimmt
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