Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
zum Beispiel Mike. Die anderen beiden sahen durch den jahrelangen Alkoholkonsum genauso mitgenommen aus.
Und da alle Mum und mich seit Jahren kannten, fühlten sie sich ein wenig verpflichtet, die Vaterrolle bei mir einzunehmen. Sie quetschten mich wesentlich mehr über die Schule aus, als Mum es je getan hatte, erzählten Parallelen zu ihrem eigenen Leben und philosophierten über die aktuellen Nachrichten. Dabei waren sie – trotz des Alkoholpegels – nie ausfallend, sondern eher witzig und unterhaltsam.
Keiner von ihnen hatte Familie. Mike nicht mehr. Seine Frau war seine Trunkenheit irgendwann leid gewesen und hatte ihn vor fünf Jahren verlassen. Er hatte auch keinen Kontakt zu seinen beiden Söhnen. Stattdessen lebte er seine Vatergefühle an mir aus. Stanley und Ed hatten nie geheiratet. Stanley hatte hin und wieder eine Freundin, aber die waren stets schnell wieder verschwunden. Ed hatte niemanden außer Stanley, Mike und meiner Mutter. Er war der ruhigste von den dreien, und seine fünfzig Kilo Übergewicht, die langen, fettigen Haare und die Akne machten aus ihm auch keinen Adonis. Aber er schien zufrieden.
Mit uns sprach er. Nicht viel, aber immerhin. Doch sobald sich Fremde in den Pub verirrten, zog er sich in sein Schneckenhaus zurück und seine Augen wurden viel schneller glasig als sonst.
Heute Abend hatten die drei über den Einsatz unserer Soldaten in Libyen diskutiert. Während Stanley das Engagement gut fand, hatte Mike behauptet, sie sollten besser Bettpfannen in den Krankenhäusern und Altenheimen leeren.
Erst im Bett, kurz bevor ich die Augen zumachte, fiel mir wieder ein, dass es einen Neuen an unserer Schule gab, dem ich morgen wieder begegnen würde. Immerhin war er in machen meiner Kurse. Allerdings bekäme ich bestimmt nicht viel von ihm zu sehen - Felicity hatte ihn schon sicher in ihren Fängen.
Wie sehr ich mich irrte.
KEIN TRAUM
Der Wecker klingelte und ich brauchte erst mal einen Moment, um das Geräusch überhaupt einzuordnen. Ich hatte ziemlich wirres Zeug geträumt. Von jagenden Hunden, Männern mit Geweihen auf dem Kopf, einer Hetzjagd durch einen dunklen Wald. Und andauernd erschien mir das Gesicht eines kleinen blonden Jungen mit blassblauen Augen. Benommen blinzelte ich auf die Digitalanzeige des Weckers auf meinem Nachttisch und versuchte die großen, blauen Augen aus meinem Kopf zu verbannen. Ein Blick auf die Uhrzeit verdrängte sie schlagartig. Ich war schon wieder zu spät! Eine Art Déjà-Vu übermannte mich, als ich aus dem Bett sprang, mich hastig anzog und schon aus dem Haus stürmen wollte. Ein letzter Rest Erinnerung an den Vortag ließ mich schließlich noch die Haare kämmen und einen Kaugummi in den Mund schieben, ehe ich loshetzte.
Genau wie gestern kam ich zu spät. Die Korridore waren schon verwaist. Ich hechtete die Treppen hoch und erreichte außer Atem den Englischraum. Mr Sinclair hielt mitten in seiner Erklärung inne und begutachtete mich mit zusammengezogenen Brauen.
»Entschuldigung, Sir, ich habe verschlafen«, erklärte ich kurzatmig.
»Setzen Sie sich, Miss Morgan, wir sprechen nach der Stunde darüber.«
Klar, ein einfaches »Kann schon mal vorkommen« war bei mir nicht drin. Dafür passierte mir das zu oft. Ich ging an den höhnisch grinsenden Gesichtern des Star Clubs vorbei zu meinem Tisch. Allerdings hielt ich kurz davor inne. Mein Tisch war nicht wie üblich leer. Lee hatte ich vorrübergehend vergessen. Er sah mir mit einem mitleidigen, herablassenden Gesichtsausdruck entgegen. Am liebsten wäre ich umgekehrt und aus der Klasse gerannt. Super. Genau, was ich in einer solchen Situation brauchen konnte: einen aufgeblasenen Schönling, der mich bemitleidet.
Ich sah ihm in die Augen, atmete kurz durch und setzte mich so ruhig wie möglich auf meinen Platz neben ihn. Aus den Augenwinkeln sah ich seine Nasenflügel beben. Muffelte ich schon wieder so extrem nach Whiskey? Wenn ja, würde ich diesmal die zweite Stunde schwänzen und mich zu Hause duschen und umziehen.
Neben mir gab Lee ein seltsames Glucksen von sich. Seine Mundwinkel zuckten. Lachte er etwa? Mr Sinclair begann einen Text aus Wildes Dorian Gray vorzulesen. Ich konzentrierte mich. Das Glucksen hörte ich noch zweimal.
»O Gott, City, schon wieder?« Jayden sah mich kopfschüttelnd an.
»Tut mir leid«, sagte ich zerknirscht. »Ich geh gleich heim, mich umziehen.«
»Nein, ich rieche nichts«, erklärte er ungeduldig. »Unter deinen Augen liegen dunkle Ringe so groß
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