Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
an, alle anderen ignorierte er. »Wie konntest du nur …« Theatralisch wandte er sich wieder ab.
Felicity schmachtete Lee, aber der beachtete sie nicht. Er stand auf und hielt Jack am Oberarm fest. Jack versuchte ihn wegzuschubsen, aber Lee wankte nicht einmal. Er musste Muskeln aus Stahl haben.
Und plötzlich hörte ich es wieder: Alle Gespräche rundum, alle Geräusche wurden ausgeblendet, als hätte jemand eine Glasglocke über uns gestellt. Und darunter war ganz deutlich eine Art Summen zu hören. Unheilverkündender als Sirenen im Zweiten Weltkrieg. Nein, kein Summen. Ein Knurren wie von einem Hund. Einem sehr scharfen, wütenden Hund von enormer Größe. Niemand sonst schien es zu hören. Ich registrierte, dass zwar alle auf Lee und Jack starrten, aber in ihren Blicken lag nicht das Entsetzen, das ich fühlte.
Außer in Jacks Blick. Er wagte nicht einmal sich zu befreien. Er sah Lee mit angstgeweiteten Augen an. Und jetzt verstand ich auch, woher dieses Knurren kam. Lee knurrte.
»Du wirst sie nie wieder anfassen. Entschuldige dich.«
Hatte er das jetzt laut gesagt oder durch sein Ultraschall-Knurren? Jacks Blick flackerte, Felicitys huschte von Lee zu mir und zurück zu Lee. Er hatte es laut gesagt, denn auf einmal sahen alle mich an. Ich schluckte. Wenn ich etwas noch mehr hasste, als mich zum Deppen zu machen, war es im Mittelpunkt zu stehen.
Jack nickte. Er sah so verängstigt aus, er hätte wahrscheinlich auch genickt, wenn ich eine zahnlose Qualle gewesen wäre. »‘ry, City«, murmelte er.
Anstatt ihn loszulassen, zog Lee ihn mühelos ein paar Zentimeter zu sich heran. »Sie heißt Felicity.«
Wieder sahen alle zu mir. Jetzt wurde ich rot. Tiefrot. So nannte mich niemand hier. Nicht einmal die Lehrer, die zu Miss Morgan übergegangen waren. Bis auf Phyllis, Ruby und Nicole war ich bei allen
die Stadt
. Sogar Corey und Jayden nannten mich so.
»Sorry, Felicity.«
Lee ließ ihn los und Jack stolperte rückwärts, als hätte er versucht, sich mit seinem ganzen Gewicht aus der Umklammerung zu lösen. Ich nickte. Was hätte ich auch sonst tun können? Was sollte ich überhaupt als nächstes tun? Mein Gehirn war schwarz und leer. Wie ein Kanister auf dem Weg zur Tankstelle. Phyllis umfasste mein Handgelenk und führte mich aus der Mensa. Endlich weg von all den starrenden Gesichtern.
Ich konnte Lee nicht Danke sagen. Ich konnte ihm in den nächsten Unterrichtsstunden noch nicht einmal ins Gesicht sehen. Er jagte mir eine Heidenangst ein. Warum hatte niemand sonst das Knurren gehört? Was hatte er, dass er alle Menschen um sich herum so beeinflussen konnte?
Felicity himmelte ihn auch den Rest der Woche an. Sie schickte ihm zu unzähligen SMS auch alberne Briefchen wie in der Grundschule, zwinkerte ihm von ihrem Platz aus zu und drängelte sich bei jedem Raumwechsel an seine Seite. Ava und Cynthia waren von ihrem Benehmen zutiefst schockiert. Ich nicht weniger. Als Felicity sich dann in Biologie auf meinen Platz – neben Lee - setzte, erklärte er unumwunden, er wolle sie nicht neben sich haben. Es sei mein Platz. Sie zog ab wie ein geprügelter Hund.
Dabei hätte ich mich sogar lieber neben Cynthia gesetzt, als neben ihm zu sitzen. Cynthias Verachtung kannte ich, aber Lee mit seiner Aufmerksamkeit, dem Geknurre und dem autoritären Auftreten war neu für mich. Ich konnte in das Loblied, das Phyllis, Nicole und Ruby auf ihn sangen, nicht einstimmen. Für sie war er der Held, der Aschenputtel gerettet hatte. Mir kam es alles andere als wie im Märchen vor. Ich war keine Prinzessin und ich fürchtete den Helden, statt ihm dankbar in die Arme zu sinken.
Aber er gehörte ab sofort fest zu unserer Clique, der Loser-Truppe. Und dank ihm – das musste ich gestehen –, galten wir nicht mehr als Loser. Wir bildeten den Gegenpart zu Felicitys und Jacks Star Club.
ENTDECKUNGEN
Mein Erlebnis im Bad ließ mich nicht los. Jedes Mal, wenn ich mir sagte, ich hätte es geträumt, betrachtete ich meine schmutzigen, schlammverkrusteten Joggingsachen. Zu allem Unglück fing mein Zahn wieder an zu schmerzen. Ehe Lee erneut auf die Idee kam, mir in den Mund zu pusten, ging ich zum Zahnarzt. Der beseitigte nicht nur die Karies mitsamt Schmerzen, sondern auch die Zahnspange.
Ich konnte gar nicht oft genug in den Spiegel schauen, um meine geraden, weißen Zähne zu bewundern. Sie fühlten sich glatt und eben und phantastisch an.
Mittwochmorgen fiel das auch allen anderen in der Schule auf. Jack Roberts starrte
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