Die Patchwork-Luege
für sie beinahe unmöglich. Wie die Stiefmutter ist auch der Stiefvater kein Wahlverwandter, sondern zuallererst ein Störenfried, der sich zwischen das Kind, den leiblichen Vater und dieMutter drängt und vielleicht mit Schuld daran trägt, dass die Familie zerbrochen ist. Die Loyalität, die ein Kind seinem Vater gegenüber empfindet, gerät nicht leicht ins Wanken, da kann der Stiefvater ein noch so phantastischer, großzügiger Kerl sein. In dieser Hinsicht sind Kinder unbestechlich. Von manchen Vätern, die auf ihre Nachfolger schimpfen, zusätzlich manipuliert, haben sie für den neuen Mann der Mutter nur Verachtung übrig. Es missfällt ihnen, dass der Stiefvater, vor allem in der Anfangszeit, einen Großteil der Zuneigung der Mutter auf sich zieht. Die setzt verständlicherweise alles daran, ihr Leben wieder auszukosten, froh zu werden. Mit dem neuen Menschen an ihrer Seite möchte sie möglichst viel Zeit verbringen. Der Stiefvater ist ein Nebenbuhler. Bei einem Streit zwischen Mutter und Kind kann er selten vermitteln.
Kinder Alleinerziehender tendieren mitunter ein Leben lang dazu, Konflikte zu vermeiden. Um des lieben Friedens willen ducken sie sich lieber weg, als einen weiteren Verlust zu riskieren. Sie leben in Hab-acht-Stellung. Die Gefahr, dass sie am Ende allein dastehen, dass ihnen niemand mehr den Rücken stärkt, erscheint Scheidungskindern infolge der Ereignisse real, auch wenn es irreal ist. Für spätere Liebesbeziehungen ist das keine gute Voraussetzung. Was sie am Verhalten ihres Partners ärgert, ihr Unwohlsein, unterdrücken Scheidungskinder gewohnheitsgemäß so lange, bis es unerträglich wird. Eine Nichtigkeit reicht dann aus, und ihr aufgestauter Zorn bricht unvermittelt über den Partner herein, der irritiert zurückbleibt,ahnungslos, weshalb ihm der andere so zusetzt – und wie ein verschrecktes Tier die Flucht ergreift.
Und da ist die Frage der Autorität. Welche Rechte hat der Stiefvater? Darf er sich in die Erziehung einmischen, Verbote aussprechen, loben, tadeln, trösten? Darf er zum Elternabend in die Schule gehen oder abfällig über den neuen Freund der Tochter sprechen? Darf er dem Sohn das Mofafahren verbieten? Was steht einem Stiefvater zu und was dem abwesenden Vater?
Es gibt einen Satz, den jeder Stiefvater zu hören bekommt: »Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nicht mein Vater.« Dieser Satz ist nicht unberechtigt. Kein Kind kann wissen, wie lange der Stiefvater bleibt, ob er mehr ist als ein weiterer Lebensabschnittsgefährte in der Liebesbiographie der Mutter. Im Stiefvater sieht das Kind keine feste männliche Bezugsperson. Ist er tatsächlich wieder fort, bewahrheitet sich das Sprichwort »aus den Augen, aus dem Sinn«. Zumindest für den Stiefvater. Es sind schließlich nicht seine eigenen Kinder, die zurückbleiben, weshalb er ihnen gegenüber keinerlei gesetzlich geregelte Verpflichtungen hat, nur moralische. Die Kinder, ob sie für den Stiefvater weniger Zuneigung empfanden oder mehr, leiden erneut. Man könnte annehmen, sie stumpften vielleicht ab, daran gewöhnt, dass Menschen kommen und gehen, auch eine Waschmaschine tauscht man nach einiger Zeit aus. Sie stumpfen aber nicht ab. Jeder Partnerwechsel erinnert das Kind an den Schmerz der Vergangenheit, als wäre er eben erst geschehen. Je mehr solcher Situationen es erlebt, desto mehr wird seine Psyche eventuelldauerhaft beschädigt. Die Wirkung der aufeinanderfolgenden Verluste ist kumulativ.
Die Geschichte der Eltern ist mit der Geschichte ihrer Kinder untrennbar verknüpft.
Im August 2010 fällte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung, die in den meisten europäischen Ländern bereits lange Realität ist: Bei unverheirateten Eltern wird das Sorgerecht in Zukunft nicht mehr automatisch der Mutter zugesprochen. In Paragraph 1684, Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es nun: »Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.« Dieser Satz markiert das Ende des mütterlichen Exklusivrechts. Zwischen den Zeilen verbirgt sich aber auch der Hinweis, dass Väter für ihre Kinder unverzichtbar sind. Viel zu lange waren sie dem Wohlwollen ihrer Expartnerinnen ausgeliefert, denen es manchmal am liebsten war, wenn die Väter Alimente zahlten, ansonsten aber aus dem Kinderleben verschwanden. Das Kind war die Waffe der Mutter, mit ihm konnte sie sich rächen. Mal war ein gemeinsamer Urlaub geplant, da erkrankte
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