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Die Patchwork-Luege

Titel: Die Patchwork-Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Muehl
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Blankenhorn nicht nur Radikalfeministinnen. »Ohne Vater aufzuwachsen«,schreibt er, »ist die Hauptursache für die wachsenden sozialen Probleme wie Kriminalität, Teenager-Schwangerschaften und Gewalt gegen Frauen in der Familie.« In Amerika sind uneheliche Schwangerschaften und Scheidungen mittlerweile so weit verbreitet, dass mehr als die Hälfte der Kinder die meiste Zeit ohne Vater aufwächst.
    Es war 1963, als Alexander Mitscherlich das Schlagwort von der vaterlosen Gesellschaft aufbrachte, das ursprünglich von Paul Federn stammt, der 1919 sein Werk Zur Psychologie der Revolution: Die vaterlose Gesellschaft veröffentlichte.
    Millionen von Kindern und Jugendlichen wurden infolge des Zweiten Weltkriegs ohne Väter groß, die waren gefallen oder in Kriegsgefangenschaft. Mitscherlich entwarf das Bild einer Epoche, die allmählich von inneren Auflösungserscheinungen zersetzt wird. Die Vaterrolle hat ihre Legitimation verloren, der Vater wird zum »Schreckgespenst«. Anstelle familiärer Verbindlichkeiten treten anonyme Konstellationen. Die primäre Vaterlosigkeit, so Mitscherlichs düstere Prognose, könnte die Demokratie mit ihrer vernünftigen Gewaltenteilung, mit ihrer Grundlage eines individuellen Selbstbewusstseins zu etwas Imaginärem werden lassen. Die Folgen: Narzisstische Triebäußerungen und neurotische Charaktere werden zur Normalität. Die Aggressivität steigt, die Gleichgültigkeit Mitmenschen gegenüber auch. Karl Korn schrieb damals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung : »Individuum und Einrichtungen sind gleichermaßen gefordert und oft überfordert, eine neue Welt zu durchdringen und zu verstehen. Verantwortungenwerden ungern übernommen. Man gibt sich einer passiven Konsumhaltung hin. Man wird im gleichen Augenblick, da die gehassten Väter der alten Zeit abtreten, zum Säugling an den Brüsten der zivilisatorischen Versorgung. (…) Die Moral wird opportunistisch.« Dieses Bild trifft mitten in unsere Gegenwart. Wir sind in der vaterlosen Gesellschaft angekommen.
    In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt etwa 8 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern, wovon fast jede fünfte nur noch aus einem Elternteil besteht, in Großstädten sogar jede vierte. 1996 gab es etwa 1,3 Millionen Alleinerziehende, das ist ein Anstieg von 20 Prozent, wobei die Gesamtzahl der Familien mit Kindern um 13 Prozent zurückgegangen ist. Bezüglich der höheren Dichte Alleinerziehender in Großstädten heißt es im Mikrozensus: »Generell bieten Großstädte eine bessere Infrastruktur. Das breite Angebot an Kinderbetreuung, das dichtere Verkehrsnetz sowie das vielfältige Angebot an Versorgungseinrichtungen stellen insbesondere für Alleinerziehende eine große Erleichterung bei der Organisation ihres Alltags dar.« In neun von zehn Fällen zieht die Mutter ihre Kinder groß, dementsprechend höher ist auch die Vollzeitbeschäftigung Alleinerziehender. Trotzdem sind alleinerziehende Mütter überdurchschnittlich oft von Armut betroffen und auf Transferleistungen angewiesen, auf Hartz IV oder andere Sozialunterstützungen. Erziehungshilfen der Jugendämter nehmen sie häufiger in Anspruch.
    »Von der Scheidungsindustrie, die mit den neuen sozialdemokratischenScheidungsgesetzen von 1973 erst richtig in Schwung kam, ist ein unglaublicher Verarmungsschub ausgegangen. Der Staat muss mit Milliarden einspringen«, schreibt Matthias Matussek in seinem Buch Die vaterlose Gesellschaft .
    Obwohl dauernd von den neuen Vätern die Rede ist, sind die maskulinen Eigenschaften der Vaterfigur offensichtlich überflüssig geworden. Das neue Bild, in das der Vater hineingepresst wird, zeigt ihn als zweite Mutter, ein geschlechtsneutrales Wesen, das sich, wenn es in die Vater-Kind-Gruppe geht, einen Babybjörn umschnallt und zur rosafarbenen Tasche seiner Frau greift, in der die Hipp-Gläschen, die Feuchttücher und geschälte Äpfel verstaut sind. Seitdem zwei Menschen den Nachwuchs bemuttern, kann der eine seine Männlichkeit an der Garderobe abgeben.
    Mädchen brauchen für die eigene Weiblichkeit den Vater als Spiegel.
    In den ersten Monaten, das hat die Bindungsforschung eindrucksvoll nachgewiesen, entstehen tiefe Bindungen, zu Mutter und Vater, der eben nicht erst dann eine wichtige Funktion übernimmt, wenn er mit seinem Kind Fußball spielen kann.
    Trotz der eindeutigen Belege gibt es nach wie vor noch genügend Stimmen, die beharrlich behaupten, jeder Vater sei ersetzbar, egal, ob durch einen Stiefvater,

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