Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
geschickt hatte. Vielleicht gehörte Heigar, die Bardin von Ettinor, ebenfalls zu den Untoten? Alles war so verwirrend … und die Kraft des Lichts, die durch den Raum pulsierte, schwoll wieder an, machte das Denken schwierig. Beginnende Kopfschmerzen pochten hinter ihren Schläfen.
Zum ersten Mal meldete sich Nelac zu Wort. »Ich bin von der Wahrheit dieser Angelegenheit überzeugt«, verkündete er. Die anderen Barden drehten sich nach ihm um und lauschten ihm mit ernsten Mienen. »Es würde ein geringes Wagnis darstellen, sie einzuführen, und ich fürchte, was geschehen könnte, wenn wir es nicht tun. Auch ich rate dringend zu dieser Vorgangsweise. Ich empfehle, dass wir Maerad von Pellinor mit größter Dringlichkeit zur Bardin machen.«
»Der wahre Verrat geht von jenen aus, die danach trachten, uns mit falschen Ängsten abzulenken und unsere Wachsamkeit zu zerstreuen«, erwiderte Enkir gefährlich. »Ich muss mich fragen, weshalb du uns zu einer solchen Zeit mit solchen Einwänden behelligst.«
Knisternde Stille kehrte ein.
»Meine Treue gegenüber dem Licht steht außer Frage, und mich verwundert, dass du sie anfichtst«, entgegnete Nelac leise. »Ich schlage vor, du denkst noch einmal nach, Enkir.«
»Es ist nicht deine Treue, die ich anzweifle«, sagte Enkir, der seinen Hohn nicht zu verbergen vermochte. »Ich weiß, dass du anfällig bist, wenn es um Cadvan von Lirigon geht. Die Voreingenommenheit eines Lehrers für seinen ehemaligen Schüler mag zwar entschuldbar sein, aber wir alle wissen, dass Cadvans Vergangenheit ein paar… dunkle Flecken hat.«
Bei diesen Worten schaute Maerad auf. War sie blind gewesen? Wieder und wieder hatten die Leute etwas Zweifelhaftes in Cadvans Vergangenheit angedeutet… Warum hatte sie so unbekümmert darüber hinweggesehen?
»Ich zweifle Nelacs gute Absicht nicht an«, meinte ein dunkelhaariger Barde neben Nelac. »Dennoch halte ich Cadvans Geschichte so wie Enkir für unglaubwürdig.« Mehrere andere nickten. »Es gibt so viele andere Erklärungen für die Übel, die unser Reich heimsuchen. Diese scheint mir die am weitesten hergeholte von allen.«
Enkir starrte Nelac finster an. »Es ist nicht so einfach, ein Barde der Weißen Flamme zu werden. Es käme einer Beleidigung gleich, auch nur in Erwägung zu ziehen, einen Jungen dieser Erfahrung in solche Höhen zu erheben, geschweige denn ein Mädchen. Und ich werde meine Zeit nicht weiter damit vergeuden, darüber zu reden -mein Urteil ist gefällt. Ich bin dagegen. Was die anderen vorgebrachten Anliegen betrifft, werden wir darüber beratschlagen und unsere Entscheidung bekannt geben.« Er ließ den Blick um den Tisch wandern und sah jedem der Barden des Obersten Zirkels in die Augen. Nur Nelac, Caragal, Tared und ein weiterer Barde, der bislang kein einziges Wort gesagt hatte, schüttelten den Kopf.
»Fünf gegen vier. Du bist überstimmt, Nelac. Der Oberste Zirkel hat entschieden.« Er warf Nelac einen triumphierenden Blick zu. »Die Antragsteller sind entlassen.« Maerad hatte dem Streitgespräch teilnahmslos gelauscht. Für sie spielte es keine Rolle mehr, ob sie nun als Bardin eingeführt oder nicht. Sie spürte, wie die Abneigung, ja der Hass all dieser Männer, vor allem Enkirs, des Verräterischsten unter ihnen, ihr Galle in die Kehle trieb. Maerad fand, dass der Oberste Barde an einem runden Tisch völlig fehl am Platz wirkte; eigentlich müsste er auf einem Thron sitzen, während seine Schergen um seine Knie wuselten.
Alle Barden standen auf und verbeugten sich. Wortlos verließen Maerad, Cadvan und Saliman die Halle. Maerad hörte, wie die Barden hinter ihr wieder Platz nahmen und ihre Stimmen zur Beratung anschwollen.
Blind für die Schönheit rings um sie stapfte sie durch die Straßen des Obersten Kreises. Ihre Gedanken verursachten ihr Übelkeit. Sie spürte, dass sie es nicht ertragen könnte, wenn Cadvan ein Verräter wäre. Aber wie sollte sie ihm nun noch vertrauen?
Kapitel dreiundzwanzig
Alte Narben
»Das war eine völlige Katastrophe«, stieß Saliman angewidert hervor. Er nahm das Schwert ab und lehnte es gegen die Wand. »Aber eins nach dem anderen. Zuerst brauche ich unbedingt etwas zu trinken.«
Sie waren niedergeschlagen schweigend zu Nelacs Haus zurückgekehrt. Maerad war tief in Gedanken versunken und nahm die anderen kaum wahr.
»Mir wäre ein Schlückchen gutes Bier jetzt auch willkommen«, meinte Cadvan zu Saliman. »In der Küche müsste welches zu bekommen sein, wenn du
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