Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
großer Hund aussah. Etwas an der Haltung des Reiters verriet Hem, dass er nach etwas oder jemandem suchte, und ihm lief ein Schauder über den Rücken. Als der Reiter hinter die höheren Gebäude der Schänke geriet, verlor Hem ihn aus den Augen. Ungeduldig wartete er, ob er wieder auftauchen würde, was jedoch nicht der Fall war. Vermutlich war er hineingegangen, um einige Habseligkeiten zu bergen oder zu plündern, was sich an Brauchbarem unter den Trümmern befand; vielleicht suchte er aber auch nach Anzeichen dafür, ob er und Saliman dort gewesen waren. Eine lange Weile schien zu verstreichen, bis der Reiter sich wieder zeigte, diesmal ohne die Pferde, aber nach wie vor gefolgt von dem Hund. Langsam ging er die Weststraße entlang und blickte dabei von Seite zu Seite. Hem duckte sich tiefer, um sich nicht auf der Hügelkuppe abzuzeichnen. Dann bog die Gestalt von der Straße ab und schlug denselben Weg ein, den Hem und Saliman vor Tagen gewählt hatten, um den Geländerücken zu erklimmen, und der zu der Stelle führte, an der Hem kauerte. Viel war von dem Pfad nicht übrig; während der Regenfälle hatte er sich vorübergehend in einen Bach verwandelt, weshalb er nun eine tiefe, rutschige Furche im Hügel bildete, die schwierig zu überwinden war. Dennoch arbeitete die Gestalt sich stetig höher, und Hem wurde immer besorgter.
Als die Gestalt sich näherte, erkannte er, dass es sich wohl doch nicht um einen Mann, sondern so gut wie sicher um eine Frau handelte. Höchstwahrscheinlich jemand, der vor den Fluten geflüchtet war, wenngleich ihm ein Rätsel war, weshalb sie sich diesen steilen Hügel heraufmühte, erst recht, da sie entschieden erschöpft wirkte: Der Kopf hing schwer herab, und sie stolperte häufig. Hem spürte keine Hexerei an ihr, wenngleich sie diese vermutlich abgeschirmt hatte, falls sie eine Untote auf der Jagd nach ihm und Saliman war. Geräuschlos schlich Hem hinter den Busch, ohne die Frau aus den Augen zu lassen. Sie hielt inne und verschnaufte kurz. Der Hund setzte sich auf die Hinterläufe und wartete. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung und mühte sich hartnäckig weiter. Je näher sie kam, desto neugieriger wurde Hem, was sie vorhaben mochte. Sie rutschte aus, und Hem hörte, wie sie einen leisen Fluch ausstieß. Als sie sich wieder aufrappelte und den Hügel heraufblickte, wobei sie die Augen mit den Händen beschattete, sah Hem endlich ihr Gesicht.
Es war Hekibel, und der Hund war natürlich Fenek. Überrascht schrie Hem auf, erhob sich und rannte auf sie zu. Fenek knurrte; Hekibel wirbelte herum, und Hem erkannte, dass sie einen Lidschlag lang Todesängste ausstand.
»Hekibel!«, rief er. »Was machst du denn hier?«
Fenek erkannte Hem, sprang auf und versuchte, ihm das Gesicht abzulecken, ließ es jedoch bleiben, als Hekibel ihm befahl, unten zu bleiben. So stand er nur neben ihnen und wedelte emsig mit dem Schwanz.
»Hem?« Als er sie erreichte, ergriff Hekibel seine Hände. »Hem? Bist das wirklich du?«
»Ja, ich bin es.« Hem musterte ihr Antlitz: Sie sah abgehärmt und ausgezehrt aus, als hätte sie lange nicht geschlafen. Die Haut um ihre Augen war aufgedunsen und gerötet. Sie trug dreckige und schlammverschmierte Männerkleidung. »Was ist geschehen? Du siehst erschöpft aus.«
»Das bin ich«, bestätigte Hekibel mit kippender Stimme. »Ich bin so müde … Oh Hem, ich hatte so gehofft, dich zu finden, aber ich dachte… ich dachte schon, es sei aussichtslos. Aber sag, wie geht es Saliman?«
»Saliman ist geheilt«, antwortete Hem.
Unverkennbar erstaunt, schwieg Hekibel einen Augenblick, und Hem erkannte in ihren Augen etwas, das an Ehrfurcht erinnerte. »Hast du ihn geheilt, Hem?«, fragte sie schließlich.
Hem nickte und fühlte sich verlegen.
»Beim Licht.« Urplötzlich, als wäre jäh aller Atem aus ihr entwichen, ließ sie sich zu Boden plumpsen. »Du hast ihn also von der weißen Krankheit geheilt. Marich meinte, das sei nicht möglich …«
»Er ist nicht mehr krank«, beteuerte Hem. »Aber noch sehr schwach. Und ich habe ihn heute Morgen verlassen, als er noch schlief; er weiß also nicht, wo ich bin. Warum gehen wir nicht zurück zur Hütte?«
Hekibel nickte. »Ist es weit?«
»Sie ist hinter dem nächsten Rücken dort«, erwiderte Hem und deutete in die Richtung. Besorgt starrte er Hekibel an; ihm war aufgefallen, dass ihre Hände zitterten. »Kannst du so weit laufen? Sobald wir dort sind, könnte ich dir Frühstück machen.«
Hekibel
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