Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
von Pellinor, hatte sie Nim geschenkt, einem jungen Mann, der einer ihrer Häscher der Jussacks gewesen war, sie aber dennoch gut behandelt hatte. Es war ein fürstliches Geschenk gewesen: Sie selbst hatte die Brosche zuvor von Oron höchstpersönlich erhalten. Doch irgendwie war Maerad überzeugt davon, dass Oron es verstanden hätte. Inneil war eine Schule, in der man großen, unausgesprochenen Wert auf Freundlichkeit legte.
Eine Weile betrachtete sie ihren Besitz, dann verstaute sie die Gegenstände einen nach dem anderen wieder in ihrem Bündel, zusammen mit der Feder, die sie aus Dernhils Zimmer mitgenommen hatte. Dabei fragte sie sich, ob sie je eine eigene Kammer haben würde, in der sie ihre Habseligkeiten verwahren könnte. Inneil war der erste Ort, an den sie nach fast einem Jahr des Reisens zurückgekehrt war. Cadvan und sie würden demnächst wieder aufbrechen, und vielleicht würde sie Inneil nie wieder sehen. Sie hatte das Gefühl, ewig auf Reisen gewesen zu sein. Vielleicht konnte sie, wenn alles vorbei war und sie es überlebte, beginnen, sich ein Heim zu schaffen …
Maerad schob den Gedanken von sich. Wenn sie ihm weiter nachginge, würde es damit enden, dass sie sich in Selbstmitleid suhlte. Sie wusste, dass Malgorn und Silvia für diesen Abend einige andere Barden zum Essen eingeladen hatten, und sie sollte sich davor baden. Maerad hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, zu baden, wann immer sich eine Möglichkeit bot. In Inneil tat sie es bisweilen zweimal täglich, um die Monate der Reisen auszugleichen, in denen sie sich nur notdürftig in kalten Bächen waschen konnte. Seufzend stand sie auf und ging ins Badezimmer.
Es wurde ein fröhlicher Abend im Bardenhaus. Niemand sprach von den Schwierigkeiten in Inneil, man verdrängte sie für eine Weile. Maerad fiel auf, dass die Barden nach dem Essen nicht ihre Instrumente holten, wie sie es sonst taten. Vermutlich hatte Silvia sie gewarnt, dass Maerad nicht mehr Leier spielen konnte. »Ich kann meine Leier spielen«, verkündete sie mit fester Stimme. »Wenn es euch nicht stört, dass ich dabei leuchte.«
Indik musterte sie mit einer Miene, die sie als Anerkennung auffasste, als sie ihre Leier aus der Hülle zog. Kurz sammelte sie ihre Macht, und als ihre Magie den Raum sanft zu erhellen begann, blickte sie hinab und sah, dass ihre Hand heil war, eine Hand aus Licht. Silvia lächelte freudig überrascht und nahm ihre eigene Leier von der Wand. Die anderen Barden verschwanden, um rasch ihre Instrumente zu holen. Sie fingen mit einem Instrumentalstück in Moll an, wunderschön und wehmütig, danach sangen Cadvan und Maerad das Duett von Andomian und Beruldh, das sie bei ihrer ersten Begegnung gesungen hatten. Die anderen Barden lauschten gebannt und schweigend und brachen in Beifall aus, als sie fertig waren.
Danach musizierten sie zusammen bis spät in die Nacht hinein, und Maerad spürte, wie etwas in ihr aufgefüllt wurde, das am Verhungern gewesen war. Musik, dachte sie, ist wie Speis und Trank für die Seele, eine Notwendigkeit. In jenen wenigen, verzauberten Stunden fühlte sie sich restlos glücklich. Musik, hatte Cadvan einst zu ihr gesagt, ist meine Heimat.
Als Maerad spät am nächsten Tag erwachte, fühlte sie sich stärker als seit Langem. Ihr Leben mochte von Beschwernissen und Traurigkeit gezeichnet sein, dennoch wähnte sie sich glücklich, zumal es ihr auch Augenblicke beschert hatte, die sie um nichts in der Welt missen wollte. Faul blieb sie liegen, da sie keine Eile verspürte, aufzustehen. Das Leben würde bald genug wieder beschwerlich werden, warum also sollte sie ein gemütliches Bett nicht genießen, solange sie konnte? Schließlich bahnte sie sich nach dem üblichen Bad den Weg nach unten, um zu frühstücken. Sie nahm sich in der Küche etwas Gebäck, das sie in einer Ecke aß, wo sie niemandem im Weg war. In der Regel hielt sich Silvia um diese Zeit in der Küche auf, doch sie war wieder unterwegs; die Flut der Menschen, die auf der Suche nach Zuflucht vor den Angriffen im Tal nach Inneil strömten, sorgte dafür, dass sie stets beschäftigt war. Da Maerad nichts Besseres zu tun wusste, machte sie sich auf die Suche nach Cadvan. Obwohl zwischen ihnen keine Worte darüber gefallen waren, wusste sie, dass sie bald aufbrechen würden, vermutlich bereits am nächsten Tag. Ihrem Verlangen, in Inneil zu bleiben, stand ein noch stärkeres Gefühl der Dringlichkeit gegenüber; sie spürte, dass die Zeit knapp wurde.
Obwohl
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