Die Pelzhändlerin (1. Teil)
gegen den Beschlag an der Haustür. Endlich hörte sie Schritte. Schnelle, kraftvolle Schritte waren es, und noch ehe Sibylla begriff, dass sie nur von einem Mann stammen konnten, öffnete sich die Tür, und Isaak Kopper stand vor ihr.
«Sibylla? Du? Ist etwas passiert?», fragte er verwundert und trat einen Schritt zur Seite, sodass sie schnell an ihm vorbei in die wohlige Wärme des Hauses schlüpfen konnte.
«Es ist nichts passiert, Isaak. Und guten Abend auch. Ich möchte zu Ida, wollte sie etwas fragen.»
Isaak hob bedauernd die Achseln. «Ida hat Isabell ins Haus ihrer Eltern begleitet. Die Entbindung steht bevor, und Isabell wünscht sich den Beistand ihrer Mutter.»
«Ich verstehe», erwiderte Sibylla mit heiserer Stimme. «Dann habe ich wohl Pech gehabt und muss später noch einmal wiederkommen.»
«Es ist schön, dich zu sehen», murmelte Isaak so leise, dass Sibylla ihn kaum hören konnte. Dann sagte er laut: «Kann ich dir nicht helfen? Frag mich, was du Ida fragen wolltest.»
«Ach», winkte Sibylla ab. «Ich glaube nicht, dass du dich so gut in der Pflanzenwelt auskennst.»
Isaak lachte. «Was meinst du wohl, wie ein Arzt zu seinen Arzneimitteln kommt? Die meisten Heilmittel werden aus Pflanzen gewonnen. Ein schlechter Arzt wäre ich, kennte ich mich damit nicht aus.»
Behutsam nahm er ihr den Umhang von den Schultern und führte sie in das elegante Wohnzimmer, das noch genauso aussah, wie Lucia es eingerichtet hatte. Isabell hatte darin keine Spuren hinterlassen, und obwohl Sibylla dies merkwürdig fand, freute sie sich darüber. Hier hatte sie sich immer wohl gefühlt, tat es auch jetzt wieder.
«Leistest du mir bei einem Glas Glühwein Gesellschaft?», fragte Isaak Kopper und warf noch einige Holzscheite in den Kamin.
Sibylla nickte. Die Wärme im Zimmer machte sie schläfrig. Am liebsten wäre sie für alle Zeiten hier sitzen geblieben. Einfach nur in die lodernden Flammen sehen und keinen Gedanken an Geschäfte verschwenden. Wie schön das wäre.
Isaak war hinunter in die Küche gegangen, um den Wein zu bereiten. Jetzt kam er zurück, reichte Sibylla einen Becher und setzte sich neben sie auf die Bank. Sie trank einen Schluck. Das Getränk war köstlich, schmeckte nach Nelken und Zimt und wärmte ihren ganzen Körper. Sibylla genoss es, neben Isaak zu sitzen, seine Nähe zu spüren. Wieder überkam sie große Wehmut, als sie daran dachte, dass sie selbst die Möglichkeit, immer in Isaaks Nähe zu sein, verschenkt hatte. Doch geschehen war geschehen. Nichts ließ sich mehr rückgängig machen, und es war dumm, vertanen Gelegenheiten hinterherzutrauern.
Schweigend tranken sie die Becher leer.
«Was also wolltest du mich fragen?», erinnerte Isaak Sibylla an den Grund ihres Besuches.
Sibylla blickte ihn an. Seine maingrünen Augen sahen sie so intensiv an, dass sich Sibylla fragte, ob man mit Blicken streicheln konnte. Ein wohliger Schauer lief ihr den Rücken hinab.
«Ich habe zur Messe gefärbte Pelze aus Italien gesehen, und Lucia hat mir einen blauen Umhang geschickt und dazu geschrieben, er wäre mit Hilfe der Waidpflanze eingefärbt worden. Ich kenne diese Pflanze nicht, weiß nicht, woher ich ihr Pulver bekommen kann, wie man mit ihr färbt.»
«Ich kenne die Waidpflanze», sagte Isaak. «Sie kommt aus Thüringen. Der Waid gehört zur Familie der Kreuzblütler und ist in der Lebensdauer zweijährig. Der Farbstoff wird aus den Blättern der Pflanze gewonnen. Seine Herstellung ist sehr aufwändig und zeitraubend. Nach der Ernte werden die Blätter in einem Fluss oder Bach gewaschen und auf Wiesen zum Trocknen und Anwelken ausgebreitet.
Dann werden sie auf speziellen Mühlen zu einer breiartigen Masse zerrieben. Aus den zerquetschten Blättern formen Frauen von Hand ungefähr faustgroße Waidballen, die nach ihrer Trocknung von den Bauern auf den Markt in der Stadt gebracht werden. Der Ballenwaid stellt ein Halberzeugnis dar, das die Bauern nicht weiter aufbereiten dürfen, da auch in Thüringen das Gesetz gilt, dass Gewerke und Gewerbe nur in Städten betrieben werden dürfen.
Waidhändler kaufen den Ballenwaid und verarbeiten ihn in den Herbst- und Wintermonaten zu Farbpulver. Dazu werden die Waidballen zuerst mit Hämmern zerschlagen und dann mit großen Mengen heißen Wassers begossen. Dadurch beginnt unter starker Dampf- und Hitzeentwicklung ein Gärungsvorgang, der sich über mehrere Wochen hinzieht. In dessen Verlauf wird die Waidmasse mehrmals gewendet, zerkleinert sowie
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