Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Jahresproduktion kauften. Was dann noch übrig blieb, musste für das Fest reichen.
«Komm mit auf den Speicher», forderte sie die Freundin auf. «Lass uns in den alten Truhen stöbern. Vielleicht finden wir dort etwas, das wir gebrauchen können.»
Sie stiegen auf den Dachboden, öffneten eine Truhe nach der anderen und fanden schließlich, was sich Sibylla heimlich erhofft hatte: das Hochzeitskleid, das Sibyllas Mutter bei ihrer Vermählung mit dem Kürschnermeister Wöhler getragen hatte.
Sie zog es behutsam aus der Truhe und hielt es sich vor. Es war ein Kleid aus eierschalenfarbener Seide, das unter der Brust geschnürt war und in weichen, fließenden Falten bis auf den Boden fiel. Der Ausschnitt war mit einem goldenen Band eingefasst, die Ärmel bauschten sich oben und schlossen an den Handgelenken eng ab.
«Wunderbar. Es sieht herrlich aus. Findest du nicht?», fragte Sibylla die Freundin.
Christine wiegte den Kopf hin und her. «Willst du wirklich das alte Ding tragen?», sagte sie zweifelnd. «Du erweist deiner toten Mutter damit Ehre, das ist schon wahr, und die Alten wird es freuen, weil es ihnen immer gefällt, wenn man auf Altes zurückgreift. Der Zunft wäre es schon recht als Zeichen, dass du den Brauch ehrst. Aber bedenke: Du bist jung, und heutzutage zeigt eine junge Frau bei der Hochzeit, was sie hat. So ist die Mode. Die meisten Bräute tragen neue Kleider und nur ein Stück von der Ausstattung der Mutter.»
Sibylla betrachtete noch immer das Hochzeitskleid, das ihr wie angegossen passte. Sie befühlte die leise knisternde Seide, strich mit der Hand über den Wurf der Falten, roch daran und bildete sich sogar ein, den leisen Geruch von Rosenwasser wahrzunehmen. Für einen Moment sah sie eine junge Frau vor sich, die voller Erwartung an der Hand des jungen Wöhler vor den Altar trat. Ihre Eltern; fast glaubte sie es selbst. Es war ein anrührendes Bild, das ihr beinahe die Tränen in die Augen steigen ließ.
Durfte sie dieses Kleid überhaupt tragen? Ein Kleid, das für eine andere aufbewahrt worden war? Für eine, die tot in der Erde lag und deren Platz sie eingenommen hatte? Hätte sie es getragen, oder hätte sie auf einem neuen bestanden? Sie wischte die Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln fort. Jetzt war sie Sibylla Wöhler. Mit allem, was dazugehörte. Also auch mit diesem Kleid.
«Ich werde es zur Hochzeit tragen. Dieses und kein anderes», sagte sie bestimmt.
Christine war nicht ihrer Meinung. «Wenn du unbedingt willst, musst du es tun. Aber glaube ja nicht, dass die Leute lange über dein Kleid reden werden. Nach einer Woche werden sie es vergessen haben.» Ihr wehmütiger Blick verriet, dass sie von der eigenen Hochzeit sprach. Ja, Christine hatte gewollt, dass ihr Kleid noch lange danach für Gerede in der Stadt sorgte. Die meisten Bräute hofften und wünschten dies und taten alles, um ihr eitles Ziel zu erreichen. Ellenlange Schleppen, kostbare Stoffe, die mit Gold- und Perlenstickerei überladen waren, Spitzen, wertvoller Schmuck im Ausschnitt. So gehörte es sich, so war es Mode, und für die Abzahlung der Schulden hatte man schließlich das ganze Leben noch Zeit.
Sie betrachtete Sibylla. Das alte Kleid stand ihr wirklich ausnehmend gut. Nur der Schmuck dazu fehlte noch. «Weißt du was? Ich leihe dir zu deinem Fest meine goldene Kette mit dem roten Rubin. Der Schmuck passt wunderbar zum Kleid. Heißt es nicht, dass man etwas Geliehenes zur Hochzeit tragen soll, damit die Ehe glücklich wird?»
Jochen hörte die aufgeregten Stimmen der beiden Frauen aus der oberen Etage bis hinunter in die Werkstatt, die zu dieser stillen Abendstunde verlassen lag. Er musste lächeln.
Schön ist sie, meine Sibylla, dachte er. Die Schönste von allen. Ich bin froh, dass sie jemanden gefunden hat, der die Hochzeitsvorbereitungen begleitet. Und dass sie eine Freundin hat, die am Abend kommt, sodass ich in der Werkstatt bleiben kann.
Zärtlich betrachtete er das Fell vor sich. Kaninchenfell, so zart und weich wie frisch geschlüpfte Küken. Er legte die einzelnen Stücke auf einen Schnitt, den er aus Papier gefertigt hatte. Ein Leibchen, das über den Brüsten begann und bis zu den Oberschenkeln reichte, sollte es werden.
Jochen strich liebevoll über das Fell. Sein verkrüppelter Fuß schmerzte. Wie immer, wenn sich das Wetter änderte. Seine Gedanken schweiften zurück in eine Zeit, von der er dachte, er hätte sie schon lange vergessen. Wieder erschien die Kate seiner Familie vor
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