Die Pension am Deich: Frauenroman
Dabei ist es kaum zu übersehen. Und ihre Pensionswirtin ist höchstens Ende vierzig, korrigiert sie ihre Einschätzung vom Vortag. Schade, dass sie ihr Haar so extrem kurz hat und nicht tönt. Dann würde man ihre Attraktivität sofort erkennen. Aber vielleicht ist ihr das einfach nicht wichtig.
Tomke stellt eine Thermoskanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee auf den Tisch und macht eine einladende Handbewegung in Richtung Büffet.
»Bedienen Sie sich ordentlich. Nach Ihnen kommt niemand mehr. Wie essen Sie Ihr Frühstücksei?«
»Das Weiße hart und das Gelbe weich«, sagt Monika schnell, bevor wieder Frank die Antwort für beide übernimmt. Tomke nickt und verschwindet in der Küche.
Als sie allein im Wohnzimmer sind, drückt Frank Monika auf einen Stuhl und sagt näselnd: »Setzen Sie sich! Ich werde Ihnen jetzt ein Top-Frühstück zusammenstellen, Gnädigste.«
Sie lässt sich willig bedienen. Während Frank geschäftig um sie herumwieselt, genießt sie die ersten Schlucke Kaffee und schaut nach draußen. Auf der Terrasse sitzt eine Frau. Es ist die von gestern, der sie im Treppenhaus begegnet sind. Monika erkennt sie sofort an ihrem prächtigen Haar, und sie trägt wieder Schwarz. Die Morgensonne scheint auf die Lockenpracht. Ein wunderschönes Haselnussbraun. Ob das echt ist?
Frank hat sich gerade hingesetzt und schneidet ein Brötchen auf, als Tomke die Eier hereinbringt.
»Perfektes Timing«, lobt er sie. Er köpft schwungvoll sein Ei mit dem Messer. »Ach, Frau Heinrich, Sie hatten doch Fahrräder im Angebot, nicht wahr? Wir würden sie heute gerne ausleihen. Wäre das in Ordnung?«
Tomke fährt sich erschrocken durch ihre grauen Haarstoppeln. Sie bleiben kreuz und quer stehen. Das gibt ihr ein verwegenes Aussehen.
»Oh nee, Herr Habermann, jetzt haben Sie mich erwischt. So ein Ärger. Ich hatte länger keine Gäste und an alles habe ich gedacht, nur die Räder habe ich vergessen. Ich weiß echt nicht, in welchem Zustand die sind.«
Frank zeigt sich unerschrocken und verkündet: »Keine Sorge. Das werde ich nach dem Frühstück herausfinden. Ich habe meine Werkzeugtasche dabei.«
»Das wäre aber nett«, strahlt Tomke ihn an. Sie verschwindet in die Küche und kommt mit einem dampfenden Becher in der Hand zurück. Für einen Augenblick befürchtet Monika, sie will sich zu ihnen setzten. Aber sie nickt Frank im Vorbeigehen nur wohlwollend zu und geht zu der Frau in Schwarz nach draußen.
Kapitel 11
Der Tagesbeginn für Tomke und Anne
Tomkes Wecker klingelt. Aufstehen! Allein dafür hat es sich gelohnt, die Frühstückspension wieder herzurichten. Sie muss funktionieren. Keine Chance, sich wieder auf die andere Seite zu drehen und später müder als vorher aufzuwachen. Keine Zeit, sich in Grübeleien zu verlieren und Trübsal zu blasen.
Sie schwingt ihre Beine mit Elan aus dem Bett. Im Aufstehen schießt ihr ein heftiger Schmerz durch die Lende. Sie bleibt gekrümmt auf der Seite liegen. Das darf einfach nicht wahr sein. Hoffentlich ist das kein Hexenschuss. Der fehlte ihr gerade noch. Sie hatte so lange keine Rückenprobleme. Warum gerade jetzt? Dumme Frage, denkt Tomke grimmig. Sie hat sich mit ihrer Hauruck-Renovierungsaktion zu viel zugemutet. Was heißt zugemutet. Ihr blieb nichts anderes übrig. Schließlich kann sie nicht wegen jedem kleinen Furz Torben anrufen oder ihrem Schwiegersohn auf den Geist gehen. Sie stehen zwar beide sofort auf der Matte, wenn Not am Mann ist, aber sie haben selbst genug zu tun. Gerald war sicher kein Ehemann aus dem Bilderbuch, aber ein begabter Handwerker. In dieser Eigenschaft fehlt er Tomke an allen Ecken und Enden.
Sie rollt sich zentimeterweise auf den Rücken zurück und beginnt vorsichtig, ihre angezogenen Beine hin und herzupendeln. Ihre erste Gymnastik seit Monaten. Dabei hat sie sonst ihre Übungen immer konsequent durchgezogen. Jetzt hat sie die Quittung für ihren Schlendrian. Beim Bauchtanz war sie auch eine Ewigkeit nicht. Sie hat einfach zu wenig für sich getan. Pauls Termine hatten für sie Priorität. Die Erinnerung macht sie wütend auf sich selbst.
Der ziehende Schmerz lässt langsam nach. Vielleicht hat sie Glück, und es war nur eine kurze Attacke. Nächster Versuch, spricht sie sich Mut zu. Aufstehen. Eine Tablette nehmen und in Gang kommen. Ihre Gäste haben zwar gestern behauptet, sie würden spät aufstehen, um die berühmten hundert Jahre zu schlafen, aber darauf würde Tomke keine Wette abschließen. Das erzählen
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