Die Pension am Deich: Frauenroman
man mächtig Appetit. Die Luft. Die ist unbezahlbar. Sie sehen auch schon besser aus im Gesicht als gestern. Ich meine gesünder«, verbessert sich Tomke schnell.
»Vielen Dank«, erwidert Anne höflich. Fast wäre ihr herausgerutscht: Sie ebenfalls. Türkis steht Ihnen ausgezeichnet. Die Farbe unterstreicht die Ihrer Augen.
Tomke verkrümelt sich wieder in die Küche. Dabei wäre sie liebend gerne bei Anne sitzen geblieben und hätte ihr beim Essen zugesehen. Erst nach angemessener Zeit nimmt sie ihren Teebecher und stellt sich im Wohnzimmer an die Terrassentür.
»Ich bin auch mehr eine Lerche«, sinniert sie laut. »Wenn ich zu lange schlafe, bin ich irgendwie verdreht. Ganz gut, dass ich meine Routine wieder habe.«
»Das kann ich verstehen«, sagt Anne, ohne zu fragen, aus welchem Grund ihr die Routine abhanden gekommen war.
Tomke ist da weniger zurückhaltend. »Was machen Sie eigentlich beruflich?« Es trifft sie ein konsternierter Blick.
»Ich meine, weil die Macht der Gewohnheit Sie aus dem Bett gescheucht hat«, schickt Tomke freundlich lächelnd hinterher.
»Ach.« Anne wedelt mit der Hand durch die Luft, als müsse sie erst ihre Berufsbezeichnung einfangen.
»Ich stehe halt immer mit meiner Tochter auf. Besser gesagt, früher als sie, um noch einen Moment für mich zu haben. Wenn Lisette aus dem Haus ist, versuche ich gleich zu arbeiten.«
Tomke sieht sie gespannt an. »Zu Hause?«
»Ja, ich bin Autorin.«, antwortet Anne endlich schlicht.
Tomke stellt ihren Teepott auf dem Tisch ab und setzt sich. »Na, das ist mal was Spannendes.«
»Na ja, wie man es nimmt«, wehrt Anne lächelnd ab. »Die meisten Tage sind nicht spannender als in jedem anderen Beruf auch. Eben Arbeit.«
Tomke lässt sich nicht entmutigen.
»Ja, aber Arbeit, die Spaß macht. Sie haben sozusagen aus Ihrem Hobby einen Beruf gemacht. Das finde ich genial.«
»Eher aus der Not eine Tugend.«
Anne trinkt bedächtig ihren Kaffee. Man sieht ihr an, sie möchte das Thema nicht vertiefen. Tomke hat da gute Antennen. Aber sie ist so begeistert, eine Autorin an ihrem Esstisch sitzen zu haben, dass sie ihre Instinkte links liegen lässt.
»Ehrlich gesagt, ich habe von Anne Wilkens noch nichts gelesen.«
Jetzt muss Anne lachen. »Das würde mich auch wundern.«
Sie blickt in Tomkes flammendes Gesicht. Warum soll sie ihr nicht sagen, unter welchem Namen sie schreibt? Das hat sie zwar noch nie getan, aber heute passt es irgendwie. »Ich schreibe unter dem Pseudonym Linda Loretta.«
»Nein!« Tomke stößt einen enthusiastischen Schrei aus. »Sie sind Linda Loretta?«
Jetzt ist es Anne, die ihre Tasse absetzen muss. »Sie haben ein Buch von mir gelesen?«
»Eins? Alle Bücher! Ich liebe sie.«
Anne spürt, wie ihr Hitze in die Wangen steigt. Verrückt. Nun schreibt sie seit zehn Jahren, aber sie ist noch nie einer Leserin begegnet. Und nun ist die erste ausgerechnet ihre Frühstückspensionswirtin.
»Ich hätte nicht vermutet, dass Sie Liebesromane lesen. Sie wirken so – realistisch. Wie eine Frau, die mit beiden Beinen fest auf der Erde steht.«
Tomkes Miene verdüstert sich und Anne bereut ihre vorschnelle Einstufung. Das war gedankenlos und ganz und gar nicht ihre Art. Da hellt sich Tomkes Gesicht schon wieder auf. »Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun, oder? Und ich mag einfach Geschichten mit Happy End.«
»Ich auch«, gibt Anne erleichtert zu. »Aber …« Sie zögert. Sie ist kurz davor, mit Frau Heinrich über ihre beruflichen Probleme zu reden. Warum eigentlich nicht. Sie gehört nicht zu ihrem Bekanntenkreis und vor allem: sie ist ihr Fan. Das tut richtig gut.
»Ich versuche gerade …« Anne nimmt einen zweiten Anlauf. »Liebe ist in der Realität selten so absolut wie in meinen Geschichten und nicht immer für die Ewigkeit gedacht. Manchmal stirbt sie zwischen zwei Menschen. Manchmal bleibt sie nur bei einem von beiden lebendig. Der andere muss dann damit zurechtkommen. Das Leben allein kann durchaus schön sein. Das habe ich nie thematisiert. Meine Tochter wirft mir vor, dass ich gestylte Kunstwelten kreiere und meine Leser verdumme.«
»Wie alt war noch mal Ihre Tochter?«, fragt Tomke.
»Sie wird sechzehn.«
»Also Klugschiss«, folgert sie trocken. »Ich mag Ihre Liebesromane. Sehr sogar. Wie es im wirklichen Leben abläuft, weiß ich selbst. Das brauche ich nicht auch noch zu lesen.«
Die letzten Worte brechen heftig aus ihr heraus. Anne schweigt betreten. Jetzt ist sie sich sicher: Frau
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