Die Pension am Deich: Frauenroman
angenehm warme Stimme neben sich. »Oder wollen Sie lieber allein bleiben?«
»Nein, nein. Kommen Sie nur.«
»Gern, aber sie sahen gerade so verträumt aus. Als würden Sie im Geist die nächste Geschichte schreiben.«
Anne muss lachen: »Das wäre fantastisch, wenn das so einfach ginge.«
»Wie geht es denn? Wie kommen Sie eigentlich auf die Ideen? Aus der Zeitung oder aus dem wahren Leben? Ich weiß, das sind viele Fragen auf einmal, aber die haben mich schon immer brennend interessiert. Und wann hat man mal die Gelegenheit, sie loszuwerden«, sprudelt Tomke wie ein Wasserfall.
»Wo würden Sie denn Charaktere für einen Roman suchen, wenn Sie Autorin wären?«, fragt Anne statt zu antworten.
»Ich?«, wiederholt Tomke geschmeichelt. »Da brauche ich nicht lange zu überlegen. Ich habe ständig neue Gäste und ich beobachte gerne. Nicht, dass Sie das falsch verstehen. Aber ich muss schon zugeben: Ich bin ausgesprochen neugierig.«
»Oh lala, das hört sich vielversprechend an. Sie haben bestimmt eine Menge zu erzählen.« Anne lächelt Tomke aufmunternd zu.
Die kann sich gerade noch bremsen. In ihrer Begeisterung hätte sie beinahe aus dem Nähkästchen geplaudert. Mit einem Gast. Nicht mit irgendeinem. Sondern mit Linda Loretta. Die würde im Stillen denken: Interessant, interessant, aber was für ein Tratschtante.
»Was heißt viel erzählen«, wiegelt Tomke ab. »Das ist reichlich übertrieben und meine kleinen Anekdoten würden Sie sicher enttäuschen. Sie haben nach Charakteren gefragt, die in eine schöne Liebesgeschichte passen. Müssen ja auch immer andere sein.«
Tomke zögert, aber sie kann der Versuchung einfach nicht widerstehen. »Zum Beispiel das nette Ehepaar, das mit Ihnen auf der Etage wohnt. Das würde doch bilderbuchmäßig in eine Lovestory passen, oder?«
Anne erinnert sich an die zierliche Frau und den sportlichen, freundlichen Mann. Sie wirkten so gutgelaunt und glücklich.
»Stimmt, das sind sehr attraktive Menschen mit einer positiven Ausstrahlung. Die könnte ich mir durchaus als Protagonisten vorstellen.«
Tomke schweigt und versucht, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Gutaussehend. Nur weil sie wie ein Püppchen aussieht und sich so benimmt, und er wie ein weißer Ritter. Sie hat sich insgeheim gewünscht, Linda Loretta würde antworten: Ja ein nettes Paar, aber irgendwie langweilig. Nicht inspirierend. Was für eine Story soll ich denen auf den Leib schreiben? Tomke schiebt den kindischen Wunsch beiseite. Warum dichtet sie den Habermanns ständig negative Eigenschaften an. Nee, nun mal ehrlich bleiben. Nur Frau Habermann. Ihn findest du richtig klasse. Du bist neidisch, meine Liebe. Komm mal wieder zurück zu deinem bewährten Motto: Leben und leben lassen.
»Möchten Sie noch einen Kaffee?«, fragt sie Anne übergangslos, wieder ganz die emsige Pensionswirtin.
»Nein, danke, es reicht wirklich. Ich will auch gleich los.«
Kapitel 12
Monika und Frank machen eine Fahrradtour an den Hooksieler Außenhafen
Frank hat sofort nach dem Frühstück die Räder inspiziert und kopfschüttelnd seine Werkzeugtasche aus dem Wagen geholt. Wie gut, dass er sie immer dabei hat. Monika ist solange nach oben aufs Zimmer gegangen. Sie wollte noch ein paar Seiten lesen. Hat sie gesagt. Nun sitzt sie mit dem aufgeschlagenen Buch in der Hand und starrt aus dem Fenster. Feinste weiße Schleier wehen am blauen Himmel. Das zarte Geflecht kündigt einen Wetterwechsel an. Wann der eintreten wird, kann man schlecht vorhersagen. »Zirren können irren!«, ist einer der Seglersprüche. Nicht nur Zirren, auch ihr Verstand hat sich geirrt. Ihr verliebtes Gehirn hat ihn vernebelt und sie mit ihrem Gefühl komplett daneben liegen lassen. Ausgerechnet ihr musste das passieren. Dabei neigt sie von Natur aus zu vernünftigen Entscheidungen. So konsequent, dass Freunde ihr manchmal fehlende Impulsivität vorwerfen. Sie können zufrieden mit mir sein, denkt Monika bitter. Vernunft hat sie dieses Mal nicht geleitet. Sie hat nur noch aus Sehnsucht bestanden und ist ihr wie hypnotisiert gefolgt. Wie oft hat sie sich Frank und die Zwillinge vor ihr geistiges Auge gerufen. Sich klar gemacht, dass sie ein gutes Leben hat und es nicht aufs Spiel setzen will. Wie eine Abhängige, die sich eisern aufzählt, aus welchen gesundheitlichen Gründen sie den Suchtstoff meiden sollte, sonst kostet sein Genuss am Ende das Leben. Aber die mühsam heraufbeschworenen Bilder ihrer häuslichen Idylle
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