Die Pension am Deich: Frauenroman
Theaterszene, in der sie eine Beobachterin, allenfalls eine Schauspielerin, war. Eine, der man kurz zuvor den Text in die Hand gedrückt hat. Sie hat ihn einfach nur aufgesagt. Ihre Gefühle hinken den Worten hinterher. Bevor Monika weiter nachdenkt und womöglich Reue aufkommen könnte, kehrt sie zu ihren Komplizinnen zurück. Sie hat die Tür noch nicht ganz hinter sich geschlossen, als Tomke sie überfällt: »Und? Hat er den Köder geschluckt?«. Anne sieht ihr nur in gespannter Erwartung entgegen.
»Ja, er hat sich überreden lassen. Aber nur für zwei Stunden. Dann will er anrufen, um mich aus Tante Elisabeths Fängen zu befreien. So haben wir das abgemacht. Länger wäre unglaubwürdig gewesen. Frank wäre sofort misstrauisch geworden, wenn ich freiwillig mit ihr die halbe Nacht verbringen wollte.«
Monika läuft an das Fenster und hält nervös Ausschau. »Wann holt dein Sohn ihn denn ab? Ich kann erst denken, wenn Frank aus dem Haus ist.«
»Nun mal ganz sachte.« Tomke legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Setzt dich erst einmal. Torben muss jeden Augenblick hier eintrudeln.«
»Hoffentlich«, seufzt Monika und verlässt widerwillig ihren Beobachtungsposten. Kaum hat sie sich neben Anne auf das Sofa gesetzt, klingelt es an der Haustür. Tomke lacht zufrieden. »Siehst du. Habe ich doch gesagt. Meine Junge ist ein Pünktlicher. Gut erzogen.«
Sie eilt aus dem Zimmer und ruft munter durch das Treppenhaus nach oben: »Herr Habermann! Ihr Abholdienst ist da!«
Herr Habermann, klingt es in Monikas Ohren nach. Ihr Herz hämmert, als wollte es ihr im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Brustkorb springen. Gleich wird er die Treppe herunterkommen. Ganz nah an ihr vorbei. Das Gefühl erinnert sie an Geburtstage aus ihrer Kindheit. Gegen Abend wurde immer Verstecken gespielt. Meistens mussten die Jungens die Mädchen suchen. Monika hatte sich mit fliegendem Atem eng in eine Ecke gedrückt und gewartet. Der Suchtrupp war manchmal ganz in ihrer Nähe. Sie hielt den Atem an und war berauscht von einem zwiespältigen Gefühl. Einerseits wollte sie gefunden werden, um in das ausgedachte Gefängnis der Jungen zu kommen. Andererseits hatte sie den brennenden Wunsch, nicht entdeckt zu werden. Ein sicheres Versteck erwischt zu haben. Es als Einzige zum Abschlagplatz zu schaffen. In diesen Augenblicken hatte ihr Herz genauso gehämmert. Der Unterschied: Dies hier ist kein argloses Kinderspiel. Sie ist längst erwachsen und gerade dabei, gegen ihren Mann ein Komplott zu schmieden. Mit zwei Frauen, die sie kaum kennt. Hilfesuchend sieht zu Anne. Die lächelt ihr aufmunternd zu.
»Du brauchst die Zeit zum Nachdenken. Die Notlüge war nötig«, raunt sie ihr zu, und Monika atmet noch einmal tief durch. Aber der Druck auf ihrer Brust bleibt.
»Ich komme!«, ruft Frank. Getrappel auf der Treppe. Die Haustür fällt ins Schloss und Tomke kommt zu ihnen zurück. Sie baut sich vor Monika und Anne auf und breitet ihre Arme aus.
»Geschafft! Das Haus gehört uns! Fangen wir an. Ich hole eben das Tablett. Ich habe ein paar Schnittchen vorbereitet.«
»Also, Appetit ist das Letzte, was ich habe«, wispert Monika kaum vernehmlich.
»Ja, das kenn ich«, winkt Tomke ab. »Aber Hungern hilft nicht weiter. Wenigstens eine schöne Tasse Tee. Eine richtige. Schwarz wie die Nacht mit Kluntjes und Sahne. Das macht den Kopf frei.«
Tomke ist schon in der Tür, als sie sich noch einmal umdreht: »Und du brauchst nicht mehr zu flüstern. Dein Mann ist weg.«
»Ein freier Kopf wäre gut«, erwidert Monika noch immer unnötig leise. »Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass er mir hilft, eine rettende Lösung zu finden. Die Tatsachen stehen fest: Frank hat mich bespitzeln lassen. Er hat aus einer harmlosen Verwechslung ein richtiges Drama gemacht. Sozusagen eine Lawine losgetreten. Ohne seine Einmischung hätte ich unsere Ehe nie in Frage gestellt. Ich wäre Erik nicht begegnet. Und wenn, dann hätte er sich mit Sicherheit nicht in dem Maße um mich bemüht. Genau das ist es gewesen, versteht ihr? Sein intensives Interesse an meiner Person. Das habe ich zu lange vermisst. Es war unwiderstehlich und hat mich verliebt gemacht.«
»Kann ich nachempfinden. Da ist man hilflos«, gibt Tomke zu. Sie stellt ein Tablett mit Teegeschirr und einem appetitlichen Schnittchenteller auf dem Tisch ab. »Schade, dass du nicht einmal wirklich mit ihm zusammen warst«, sagt sie gedankenverloren und schiebt sich ein Häppchen mit Lachs in den
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