Die Pension am Deich: Frauenroman
kleine Wohnstube manövrieren und auf eine Zweiersitzcouch platzieren. Anne setzt sich neben sie. Tomke holt sich ihren Schreibtischstuhl dazu.
»Ich lass mal die Luft aus den Gläsern«, sagt sie, um die beklemmende Stille zu unterbrechen. Geschickt entkorkt sie die Sektflasche. Ohne einen Tropfen von der perlenden Flüssigkeit zu vergießen, schenkt sie die drei Gläser voll. »Auf was wollen wir nun trinken?«
»Auf Begegnungen!«, schlägt Anne beherzt vor.
»Nein! Nein!«, protestiert Monika ungewöhnlich heftig. Ihre vehemente Gegenwehr lässt Tomke aufhorchen. Die Piepsfrau zeigt eine gewisse Lebendigkeit. Die hätte sie ihr gar nicht zugetraut. Vielleicht braucht sie wirklich Hilfe. Vielleicht. Abwarten. Tomke ist immer noch nicht überzeugt, dass ein echter Notfall hinter dem tränenreichen Auftritt steckt. Aber sie beginnt sich mit dem Verlauf des Nachmittags zu versöhnen. »Dann trinken wir auf neue Anfänge!«, sagt sie deutlich freundlicher.
»Darauf trinke ich auch nicht. Anfänge haben immer ein Ende«, widerspricht Monika stur.
»Gut, hören wir auf, nach einem Trinkspruch zu suchen. Sonst wird die Boonsupp warm. Schmeckt nun mal kalt besser. Also: Nich lang schnacken, Kopp in’n Nacken!«
Tomke hält auffordernd ihr Glas in die Höhe, prostet ihnen zu und trinkt. Die beiden anderen folgen ihrem Beispiel. Das Gemisch schmeckt süffig, und Monika ist bewusst, dass dieser harmlose Geschmack täuscht. Diese sogenannte Bohnensuppe hat sicher einige Umdrehungen. Gut so. Etwas Besseres kann ihr nicht passieren. Sie wird hier sitzen bleiben und sich einen antrinken. Danach wird sie betrunken zu Frank hochgehen und alle Schuld Frau Heinrich in die Schuhe schieben. Sie kann sich ohne lästige Befragung ins Bett legen. Dadurch hat sie eine Nacht Aufschub. Zeit, um wieder klarer denken zu können.
»Ich mache sonst nicht so schnell einen Vorstoß. Wahrscheinlich ist das die Urlaubsstimmung und unser Zusammensein hier …«, Anne unterbricht sich mit einem verlegenen Lachen. »Lange Rede: wir haben immer noch keinen richtigen Trinkspruch. Wie wäre es, wenn wir auf ein Du anstoßen?«
Tomke strahlt sie breit an: »Gerne.« Mit Linda Loretta auf du und du. Schuldbewusst sieht sie zu Monika herüber und sagt: »Ist doch sonst auch zu steif, oder?«
»Warum nicht. Ich heiße Monika.«
»Anne.«
»Tomke.«
Die aneinandergestoßenen Gläser machen ein dumpfes Geräusch.
Anne räuspert sich und fragt vorsichtig: »Was ist denn überhaupt passiert? Ich meine, nur wenn du darüber reden möchtest?«
Monika sieht sie dumpf an und zieht ihre Schultern hoch. Das hat sie geahnt. Sie werden nicht einfach nur entspannt beisammen sitzen. Sie wollen eine Geschichte von ihr hören. Warum eigentlich nicht, denkt sie rebellisch. Vielleicht ist es gut, einmal darüber zu reden. Nicht nur allein alles im Kopf hin und her zu bewegen und zu keinem Ergebnis zu kommen. Die beiden können ruhig wissen, wie es um ihre Ehe steht.
»Ich glaube, ich muss mich scheiden lassen.« Nach dieser sachlich klingenden Feststellung blickt sie an ihnen vorbei aus dem Fenster.
»Scheiden lassen?«, wiederholt Anne und wechselt mit Tomke einen ungläubigen Blick. »Aber heute Morgen haben Sie doch – ich meine, habt ihr nicht gerade unglücklich gewirkt. Wenn man von außen so etwas beurteilen kann.«
Monika bewegt zustimmend ihren Kopf: »Soweit man das von außen beurteilen kann. Aber richtig, heute Morgen habe ich nicht an eine Scheidung gedacht.«
Sie schaut wieder aus dem Fenster und heftet ihren Blick an den wolkenlosen Himmel und den Deich. Gerade in dem Augenblick wird eine Schafherde vorbeigetrieben. Das sieht so friedlich aus. Monika kämpft gegen erneut aufsteigende Tränen an. Sie drückt sie energisch nach unten. Dann beginnt sie hastig zu erzählen, als befürchte sie, ihre Courage könnte sie jeden Augenblick im Stich lassen. »Mein Mann hat geglaubt, dass ich auf den Strich gehe. Er hat einen Privatdetektiv engagiert, der mich beobachten sollte. Zwei Wochen lang. Dann lag der Beweis im Briefkasten, dass alles ein Irrtum, eine Verwechslung war. Deshalb ist mein Mann mit mir an die Nordsee gefahren. Sozusagen zur Belohnung für mich und vielleicht aus schlechtem Gewissen. Ende gut – alles gut.«
Monika holt tief Luft. Sie hat das Gefühl, eine ellenlange Rede gehalten zu haben. Anne zwinkert nervös mit den Augen. Man sieht ihr an, sie versucht angestrengt nachzudenken, um das Gehörte zu verarbeiten. Tomke schüttelt
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