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Die Perserinnen - Babylon 323

Die Perserinnen - Babylon 323

Titel: Die Perserinnen - Babylon 323 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfriede Fuchs
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kurzen Beinchen die Stufen hinauf und
blieb stehen. Die Gestalt auf dem Bett zeigte keine Regung. Herakles streckte
die Hand aus, fasste nach einem Zipfel der Decke und zog daran. Immer noch
keine Reaktion. Der Junge wandte sich um und sah zu seiner Mutter, mit großen,
erschrockenen Augen.
    Auf der anderen Seite des Bettes bewegte sich etwas. Eine
Gestalt, die dort im Dunkel gesessen hatte, stand auf, und der Schein der
Lampen fiel auf ein blutrotes, von Gold nur so starrendes Gewand. Raukschana.
Hinter ihr standen ihre beiden Schwestern und ihr Bruder Vischtana – und
Atalante. Alle drei mussten sich schon geraume Zeit im Sterbezimmer aufhalten,
denn Paruschjati, die in aller Frühe gekommen war, hatte sie nicht hineingehen
sehen. Vischtana trat vor, seine Hand fiel auf den Griff seines Akinaka, wie
bei einem Soldaten, der einen Feind taxiert.
    Raukschana. Nun waren Perdikkas’ Absichten offenbar: Er
wollte Raukschanas Sohn auf den Thron setzen und in seinem Namen regieren.
Deshalb also war Atalante mitten in der Nacht im Neuen Palast umhergeschlichen:
Sie war bei Raukschana gewesen, nicht bei Statira. Und zu Paruschjati war sie
zuvor nicht etwa gekommen, um ihr die Unterstützung ihres Bruders anzubieten –
sie hatte nur herausfinden wollen, ob von Paruschjati den Plänen ihres Bruders
Gefahr drohte. Die Entscheidung, Atalante nicht zu trauen, war richtig gewesen.
    Raukschana trat näher an das Bett. Ihre vollkommenen Züge
waren wie so oft unbewegt, doch ihre schwarzen Augen glühten wie Kohlen in
einem Becken, als sie das Kind am Sterbebett seines Vaters fixierten. Sie waren
von so unverhohlenem Hass erfüllt, dass es Paruschjati kalt über den Rücken
lief.
    „Herakles“, sagte Barsine mit halblauter Stimme, die in der
Stille des Raumes widerhallte. Sofort drehte der Junge sich um und lief die
Stufen hinunter in die Arme seiner Mutter, auf der Flucht vor der fast mit
Händen zu greifenden Feindseligkeit, die ihm entgegenschlug.
    Das Wasser sprudelte aus einer Öffnung in der mit glasierten
Ziegeln verkleideten Wand der oberen Terrasse und sammelte sich in einem
kreisrunden Becken, das mit türkisblauen Kacheln ausgelegt war. Stumm starrte
Paruschjati auf das klare Wasser, das im Sonnenlicht glitzerte und tanzende
Muster auf den Beckenboden zauberte. Das Spiel aus Licht und Wasser war
faszinierend, sie konzentrierte sich mit aller Kraft darauf, um der Leere zu
entkommen, die sich in ihrem Inneren ausgebreitet hatte.
    Barsine, die neben ihr auf der Bank saß, schwieg ebenfalls.
Keine von beiden hatte ein Wort gesprochen, seit sie das Sterbezimmer des
Königs verlassen und sich in die Gärten zurückgezogen hatten. Die Leere, die
Paruschjati spürte, war furchterregend. Der König würde sterben, und wieder
einmal würde die Welt, wie sie sie kannte, untergehen.
    „Ich hätte es wissen müssen“, sagte Barsine schließlich. „Du
hast es kommen sehen. Immer wieder hast du versucht, mich zu warnen, doch ich
wollte nicht auf dich hören. Erst jetzt kann ich es glauben, nachdem ich es mit
eigenen Augen gesehen habe. Er wird sterben.“
    Paruschjati erwiderte nichts. Barsine hatte recht, sie hatte
es kommen sehen. Und doch hatte sie nichts dagegen tun können.
    „Hast du gesehen, wie sie ihn angeschaut hat?“ Barsines
Stimme war ein tonloses Flüstern. Auch Paruschjati erinnerte sich mit Schaudern
an den hasserfüllten Blick, mit dem Raukschana Herakles am Sterbebett seines
Vaters durchbohrt hatte.
    „Und hast du den Ring bemerkt?“, fuhr Barsine fort.
„Perdikkas hat bereits begonnen, die Macht an sich zu reißen. Er wird Raukschanas
Sohn als Erben präsentieren, um in seinem Namen zu herrschen.“
    „Warum ausgerechnet Raukschana?“, fragte Paruschjati.
    In allen ihren Überlegungen hatte die Baktrierin nie eine
Rolle gespielt. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch mit Eumenes. Herakles schien
der aussichtsreichste Anwärter zu sein, von welcher Seite man das Problem auch
beleuchtete. Aber wenn sich Perdikkas, aus was für Gründen auch immer, gegen
Barsine und ihren Sohn entschieden hatte, warum dann ausgerechnet für
Raukschana? Warum nicht für Statira? Oder für Paruschjati, die immerhin mit ihm
verschwägert war? Während ihn mit Raukschana rein gar nichts verband?
    „Sie ist nur die Tochter eines unbedeutenden Adligen aus dem
Osten“, fügte Paruschjati hinzu. „In ihr fließt nicht ein Tropfen königliches
Blut. Was verspricht sich Perdikkas davon, ausgerechnet ihren Sohn auf den
Thron zu

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