Die Pest zu London
nicht mehr sterben, denn die Bösartigkeit der Krankheit hat nachgelassen«; und er fügte hinzu, er beginne jetzt zu hoffen oder sogar mehr als nur zu hoffen, daß die Seuche ihre Krise hinter sich habe und am Ausklingen sei; und genau so war es, denn in der nächsten Woche, der letzten, wie gesagt, im September, nahm das Totenregister um beinahe zweitausend ab.
Zwar hatte die Pest immer noch ein schreckliches Ausmaß, und die Zahl auf dem nächsten Totenregister betrug nicht weniger als 6460 und die Woche darauf 5720; aber dennoch war meines Freundes Beobachtung richtig, und es zeigte sich tatsächlich, daß die Leute schneller gesundeten und in größerer Anzahl als bis dato; freilich, wenn das nicht so gekommen wäre, was wäre aus der City von London geworden? Denn 285
nach den Angaben meines Freundes gab es nicht weniger als 60 000, die zu der Zeit die Ansteckung hatten, von denen, entsprechend dem oben Gesagten, 20 477 starben und nahezu 40 000 wieder gesund wurden; während, nach den zuvor herrschenden Verhältnissen, wahrscheinlich 50 000 von ihnen gestorben wären, wenn nicht noch mehr, und weitere 50 000
noch dazu krank geworden wären; denn, in einem Wort, die gesamte Bevölkerung verfiel der Krankheit, und es sah aus, als ob niemand davonkommen werde.
Aber wie recht mein Freund mit seiner Bemerkung gehabt hatte, erwies sich ein paar Wochen später noch deutlicher, denn der Rückgang hielt an, und nach zwei Oktoberwochen nahm die Zahl um 1843 ab, so daß die Zahl der Pesttoten nur 2665
betrug; und in der darauffolgenden Woche waren es wieder 1413 weniger, obwohl es doch so klar zutage lag, wie ungemein viele Menschen krank waren; ja, es waren ihrer viel mehr denn je, und in großen Mengen wurden sie jeden Tag neu krank, aber die Bösartigkeit der Seuche hatte nachgelassen.
So jäh war die Reaktion unserer Bevölkerung (ob es überall in der Welt so ist oder nicht, habe ich hier nicht im einzelnen nachzuprüfen, aber bei uns konnte ich es nur zu deutlich sehen), daß die Leute, wie sie bei ihrer anfänglichen Angst vor der Ansteckung einander aus dem Wege gegangen und des andern Haus gemieden und aus der Stadt geflohen waren, vor lauter, wie mir schien, unbesonnener und übertriebener Furcht, so jetzt, als es sich herumsprach, daß die Seuche nicht mehr so ansteckend war wie vordem und daß sie, wenn man sie bekam, nicht mehr so todbringend war, und als man jeden Tag Leute sehen konnte, die nach einem ernstlichen Erkranktsein wieder aufstanden – so faßten sie jetzt, sage ich, solch einen überstürzten Mut und wurden so leichtsinnig gegen sich selbst und die Infektion, daß sie wegen der Pest nicht mehr Umstände machten als mit einem gewöhnlichen Fieber, ja vielleicht noch weniger.
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Sie begaben sich nicht nur bedenkenlos in die Gesellschaft solcher, die Geschwülste und Karbunkel am Leibe hatten, und mochten die auch eitern und somit ansteckend sein, sondern aßen und tranken auch mit ihnen, ja gingen in deren Häuser, um sie zu besuchen, und sogar bis in die Stuben, wo sie krank lagen.
Das konnte ich nicht als sehr vernünftig ansehen. Mein Freund Dr. Heath räumte ein, und es war auch eine allgemeine Erfahrungstatsache, daß die Seuche so ansteckend war wie je und immer noch genau so viele ergriff wie früher; nur behauptete er, es stürben nicht mehr so viele von denen, die krank wurden; aber ich glaube, viele starben dennoch dieweil, und die Seuche war immer noch furchtbar, die Wunden und Schwellungen waren schmerzhaft genug und die Todesgefahr aus den Umständen der Krankheit noch keineswegs gebannt, wenn auch der Tod seltener eintrat als vorher; all dies und dazu die ungewöhnliche Langwierigkeit der Heilung, der Ekelhaf-tigkeit der Krankheit und viele andere Gesichtspunkte reichten aus, einen Mann von dem Zusammenleben in einer gefährlichen Gemeinschaft mit Erkrankten abzuschrecken und ihn sich ebenso ängstlich vor einer Ansteckung hüten zu lassen wie zuvor.
Ja, und da war noch etwas, was Furcht davor einflößte, mit der Seuche auch nur zu tun zu haben, und das war das schreckliche Brennen der Ätzmittel, die die Wundärzte den Geschwülsten auflegten, um sie zum Aufbrechen und Auseitern zu bringen; ohne das war die Todesgefahr nämlich sehr groß und zwar noch bis zum Ende. Und auch der unerträgliche Schmerz der Geschwülste, der die Leute zwar nicht mehr zu Raserei und Wahnsinn trieb, wie es vorher war und wie ich es an einzelnen Beispielen schilderte, jedoch dem
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