Die Pest zu London
noch schlimmer war, in der Zeit, bis es bekannt wurde, daß ein Haus befallen war, waren gewöhnlich die meisten der infizierten Personen bereits mausetot und die übrigen, aus Angst eingesperrt zu werden, auf und davon, so daß es wirklich nicht viel Sinn hatte, ein Haus als infiziert zu bezeichnen und es abzusperren, wenn die Seuche bereits ihr gräßliches Werk getan und von dem Hause wieder Abschied genommen hatte, bevor es sich eigentlich herausgestellt hatte, daß die Familie überhaupt in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Dies sollte genügen, um jeden vernünftigen Menschen zu überzeugen, daß es nicht in der Macht der Behörden lag oder durch eine noch so kluge menschliche Verfahrensweise zu erreichen war, die Ausbreitung der Seuche zu verhindern, und daß darum dieses Absperren der Häuser ein völlig unzureichendes Mittel zu diesem Zweck war. In der Tat schien es in 212
gar keiner Weise zum Gemeinwohl etwas beizutragen, das gleichgekommen wäre oder in einem Verhältnis gestanden hätte zu der schmerzlichen Last, die es den einzelnen Familien, die so eingesperrt wurden, auferlegte; und soweit ich von der Öffentlichkeit angestellt wurde, diese harte Maßnahme zu leiten, fand ich häufig Gelegenheit zu sehen, daß sie außerstande war, ihrem Zweck zu dienen. Zum Beispiel, wenn ich, wie man es von mir wünschte, als Visitator oder Gesundheitsinspektor bei den einzelnen Familien, welche infiziert waren, nähere Nachforschungen anstellte, kamen wir selten zu einem Haus, wo die Pest sichtbarlich aufgetreten war, ohne daß einige aus der Familie sich bereits auf und davon gemacht hatten. Die Behörden pflegten dies zu verübeln und den Gesundheitsinspektoren vorzuwerfen, sie seien bei ihren Inspektionen und Prüfungen zu lax. Dabei waren die Häuser infiziert, lange bevor man es erfuhr. Nun hatte es mir, nachdem ich erst die Hälfte der mir bestimmten Zeit, welche zwei Monate war, in diesem gefährlichen Amt gewesen war, genügt, um zu der Einsicht zu gelangen, daß wir auf keine andere Art imstande waren, zur Kenntnis des wahren Zustands einer Familie zu kommen, als entweder an der Tür oder bei den Nachbarn nachzufragen. Was nun die Möglichkeit betrifft, in jedes Haus hineinzugehen und es zu durchsuchen, so hätte so etwas keine Obrigkeit den Einwohnern zu bieten gewagt, auch hätte sich kein Bürger dafür bereit gefunden, denn es hätte uns der sicheren Ansteckung und dem Tod ausgesetzt und den eigenen sowohl wie den Ruin unserer Familien bedeutet; auch würde kein rechtschaffener Bürger, und darauf hätte man sich verlassen können, in der Stadt geblieben sein, wenn er solch rücksichtsloser Behandlung unterworfen worden wäre.
Angesichts der Tatsache, daß wir auf keine Art den wahren Sachverhalt erfahren konnten als durch Erkundigungen bei den Nachbarn oder bei der Familie selbst, auf welche Auskünfte kein rechter Verlaß war, mußte unabänderlich die Angelegen-213
heit in ihrer oben geschilderten Ungewißheit verbleiben.
Zwar war ein Familienoberhaupt verpflichtet, dem Gesundheitsinspektor seines Bezirks zwei Stunden, nachdem er es entdeckt hatte, von jeder Person, die in seinem Hause krank wurde, Meldung zu erstatten, das heißt, von jedem, der die Zeichen der Infektion hatte, aber sie fanden so viele Wege, dies zu umgehen und ihre Unterlassung zu entschuldigen, daß sie die Meldung selten erstatteten, bevor sie Maßnahmen ergriffen hatten, jeden, der im Sinne hatte zu entfliehen, aus dem Haus entfliehen zu lassen, ob er nun krank war oder gesund. Solange das so war, ist es leicht einzusehen, daß man sich auf das Sperren der Häuser als eine hinreichende Methode, die Seuche aufzuhalten, keineswegs verlassen konnte, denn, wie ich anderswo schon gesagt habe, viele von denen, die so aus jenen befallenen Häusern davongingen, hatten die Pest längst im Leibe, ob sie auch redlich meinen mochten, gesund zu sein.
Und mancher von diesen war es dann, der auf der Straße ging, und plötzlich fiel er um und war tot, nicht weil er plötzlich von der Seuche getroffen war, so wie von einer Kugel, die auf einen Streich tötet, sondern weil er in Wahrheit schon lange vorher die Infektion im Blut gehabt hatte; nur daß sie, da sie im Verborgenen an den Lebenskräften zehrte, erst in Erscheinung trat, als sie mit tödlicher Macht nach dem Herzen griff, und dann starb der Patient in einem Augenblick, wie an einer plötzlichen Ohnmacht oder einem Schlaganfall.
Ich weiß, daß sogar einige unserer Ärzte
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