Die Pestmagd
die Lichterhölzchen, die Severin so meisterlich zu führen gewusst hatte. Von den Glasschmelzfarben gab es nur noch einen verschwindenden Rest, das meiste davon eingetrocknet, das konnte niemand mehr gebrauchen und gehörte ins Feuer.
Ganz hinten in einer Ecke entdeckte sie schließlich einen bauchigen Tontopf. Als Johanna den Deckel öffnete, stieg ihr ein stechender Geruch in die Nase, der sie zurückfahren ließ. Hastig verschloss sie ihn.
Plötzlich fiel ihr alles wieder ein: Es handelte sich um Flusssäure zum Ätzen von Glas und Metall, unabdingbar in der Glaskunst, aber höchst giftig. Sabeth durfte sie um keinen Preis in die Hände fallen. Deshalb hatte sie das Gefäß nach Severins Tod ja auch in den Stall verbannt.
Doch wohin jetzt damit? Wegschütten kam nicht infrage. Jeder, der in Berührung mit der Säure kam, konnte sich verätzen und daran zugrunde gehen. Deshalb trugen die Glasmaler bei der Arbeit mit ihr ja auch stets feste Lederhandschuhe und schützten sich mit Atemmasken – und trotzdem kam es immer wieder zu folgenschweren Unfällen.
Johanna begann den Stall auszufegen. Vielleicht fiel ihr dabei ein, wie sie das gefährliche Gut am besten loswerden konnte. Blut stieg in ihre Wangen, so munter tanzte ihr Besen, und als sie schließlich damit fertig war, glühte sie am ganzen Körper. Jetzt sehnte sie sich nach einem Bad, doch die Vorstellung, all das Wasser dafür vom Brunnen herschleppen zu müssen, rückte diese verlockende Vorstellung in weite Ferne. Sabeth konnte sie nicht um Hilfe bitten, die litt heute an einem ihrer grauen Tage, war wütend und verzweifelt zugleich, weil sie offenbar spürte, wie ihr alles mehr und mehr entglitt. Außerdem wurde das Nass der Kölner Pützen derzeit für dringendere Dinge gebraucht.
Danach schüttete Johanna das Heu, das sie bereits angekarrt hatte, in den Futtertrog und füllte, obwohl es eigentlich viel zu früh war, den Wassereimer bis zum Rand. Um sich ein wenig Luft zu verschaffen, lockerte Johanna ihr Mieder und zog den Rock nach oben. Sie lehnte sich an die Mauer und schloss die Augen.
» Störe ich?« Mendel ben Baruch hatte die Stalltür einen Spalt weit aufgestoßen. » Aber da ist jemand, der Euch unbedingt begrüßen möchte.«
Blitzschnell war der Rock wieder unten, und Johanna überzeugte sich, dass auch das Mieder nicht zu viel preisgab.
» Das Pferd!«, rief sie und lief hinaus. » Ihr habt es tatsächlich geschafft!«
» Was haltet Ihr von ihr?«
» Eine Stute?« Johanna umrundete das Tier.
» Ja, ein Schwarzwälder Kaltblut. Einer meiner Glaubensbrüder aus Andernach hat sie erst vor ein paar Monaten im Breisgau gekauft. Ich musste ihn ordentlich beschwatzen, bis er bereit war, sich wieder von ihr zu trennen.« Er zog die Stirn kraus. » Gefällt sie Euch etwa nicht?«
» Sie ist wunderschön.« Behutsam berührte Johanna die Mähne, die ebenso hell war wie der üppige Schweif. Der dunkle Rücken erschien ihr kräftig und gesund. » Und zum Glück nicht so groß, wie ich schon befürchtet hatte. Es ist nur, weil Ihr gerade den Breisgau erwähnt habt … Dort bin ich meinem Mann begegnet, bevor er mich mit nach Köln genommen hat.«
Die Stute spitzte die Ohren und begann zu wiehern.
» Sie scheint Euch zu mögen«, sagte Mendel. » Ich denke, Ihr werdet gut miteinander auskommen. Diese Rasse ist zäh und genügsam, braucht wenig Futter und eignet sich sowohl zum Reiten als auch zum Fuhrbetrieb. Ich schätze, sie wird um die acht Jahre alt sein. Das jedenfalls hat die Prüfung der Zähne ergeben. Ihr könnt also noch lange etwas von ihr haben.«
» Wie teuer soll sie denn sein?«, lautete Johannas bange nächste Frage.
» Sechzig Gulden. Es bleibt bei diesem Preis.«
» Aber der Sattel … und das Zaumzeug …«
» Sind mit dabei. Beides nicht mehr neu, aber noch immer gut zu gebrauchen.«
Johanna starrte ihn überrascht an. Dann begann sie zu lächeln. » Ich dachte schon, ich hätte alles verloren, doch jetzt habe ich wieder neue Hoffnung. Kommt mit ins Haus, damit ich meine Schulden begleichen kann! Einen kleinen Rest Wein gibt es auch noch. Um unser Geschäft zu besiegeln.«
Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, das fiel ihr auf.
» Natürlich muss zuerst das Pferd in den Stall«, sagte Johanna. » Das Absatteln bringe ich wohl allein zustande. Aber wie man Zaumzeug und Sattel dann wieder richtig anlegt …«
» Das kann ich Euch gern zeigen. Morgen gegen Mittag, nach dem Markt, wenn es Euch recht ist.«
Weitere Kostenlose Bücher