Die Pfade des Wanderers
Stils noch die Zeichen, die über der immer noch intakten Tür ins Gestein gemeißelt waren. Der Aufbau des Gebäudes blieb so lange ein Geheimnis, bis es ihm gelungen war, sich Zutritt zu verschaffen. Zum Glück waren die alten Türen verfault.
Was er nun zu sehen bekam, ließ ihm den Atem stocken. Es war eine richtige Bibliothek, mit Reihen über Reihen von Regalen, die von oben bis unten mit Schriftrollen und Büchern und allen möglichen unbekannten Berichten angefüllt waren. Es gab einzelne Blätter und kleine runde Plastikscheiben, alle in eigenen Schutzumschlägen; Knotenschnüre, Steintafeln mit eingehauenen Inschriften. Die empfindlicheren Materialien hatte man durch reichlichen Gebrauch ausgezeichneter Konservierungsmittel erhalten.
Er wußte nicht zu bestimmen, welches Volk diese Bibliothek errichtet und sie hier einsam hatte stehen lassen, damit sie eines Tages von einem glücklichen Reisenden entdeckt werden konnte; doch es war klar, daß sie auf ewige Zeiten erbaut worden war. Benommen durchschritt er einen Gang nach dem anderen, wie gelähmt ob des Anblicks solchen Wissens. Unversehrte Vitrinen aus dickem Glas bildeten die Mitte des Erdgeschosses und offenbarten unter ihren durchsichtigen Wölbungen Werke, die so alt waren wie die Zeit selbst. Manche der Regale reichten drei Stockwerke hinauf. Drei gesonderte Zwischenstockwerke wanden sich um das Innere des Gebäudes. Jedes von ihnen wurde von eisernen Geländern gestützt, die in der Form von Hieroglyphen geschmiedet waren. Das Gebäude selbst war so lang, daß er nicht bis ans Ende blicken konnte.
Wieviel Wissen mochte an diesem Ort gelagert sein? fragte er sich. Wie viele Geheimnisse von Äonen? Unmöglich, es abzuschätzen, närrisch, es erraten zu wollen. Es würde Jahre dauern, um allein die Millionen von Werken nur zu zählen und zu katalogisieren. Wo sollte man überhaupt anfangen?
Irgendeine Art Index, vielleicht direkt neben einem großen Wörterbuch der Sprachen und Schriften. Es mußte etwas Derartiges geben, dachte er aufgeregt. Er schritt auf den ersten Glaskasten zu, vor Vorfreude zitternd. Er brauchte lediglich den Katalog der Bibliothek ausfindig zu machen. In seinen Tiefen würden die Antworten auf alle Fragen verborgen liegen, denen er schon fast dreihundert Jahre lang nachgrübelte. Die Mysterien des Universums warteten geduldig in den Regalen, warteten nur darauf, daß er sie fand.
Ein weiteres Lebenswerk lag vor ihm. Die Bücher und Berichte hatten seine Ankunft seit Jahrtausenden erwartet. Wenn er Glück hatte, wäre ihm genügend Zeit beschert, um wenigstens einen kleinen Teil der Bibliothek zu studieren. Es waren ehrfurchtgebietende Aussichten, die von Verheißung und Fülle schier platzten. Er wußte lediglich, daß hier Arbeit zu leisten war, und mit Entschlossenheit ging er sie an.
Für das Coliseum hatten sie ein Mehrfaches der Eintrittskarten verkauft, überlegte Jon-Tom, als er auf die Bühne hinausschritt, um sich zu seiner Band zu gesellen. Bei seinem Auftreten erscholl ein donnerndes Dröhnen aus der unsichtbaren Masse, aus der dichtgedrängten Schar der Zuschauer dort unten, jenseits der Scheinwerfer. Das Brüllen hob und senkte sich, von einer Begeisterung getragen, die nur mit Mühe in Schach gehalten wurde. So ging es weiter und weiter, bevor es sich in einen ohrenbetäubenden Singsang verwandelte, als Tausende von Fans im Gleichklang zu klatschen begannen.
»J-T-M, J-T-M, J-T-M!« Jon-Toms Initialen und die seiner Gruppe. Er ließ sie weiter brüllen, neckte sie, hatte keine Eile anzufangen, wartete, bis sie sich weit genug abgekühlt hatten, um zuhören zu können. Rechts von der Bühne grinste breit der Manager und machte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Jon-Tom erwiderte herablassend das Lächeln.
Dies war der letzte Auftritt ihrer eineinhalbjährigen Welttournee, der letzte von acht aufeinanderfolgenden Abenden bei völlig ausverkauftem Haus im Forum in Los Angeles. Bobby, sein Drummer, musterte ihn besorgt, und Jon-Tom gewährte ihm ein einziges beruhigendes Nicken. Der Drummer konnte nur verwundert den Kopf schütteln. Freunde, Kritiker und Fans fragten sich alle, woher Jon seine Kondition bezog, wie sie sich auch über seine Fähigkeit wunderten, Abend für Abend dieselben Songs immer und immer wieder zu bringen, ohne jemals gelangweilt oder ausgebrannt zu wirken. Die ganze Musikindustrie bewunderte ihn.
Und dabei war das Geheimnis seiner Begeisterungsfähigkeit doch so deutlich zu
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