Die Pfeiler der Macht
mit Honig.« Bertie sprach bereits im langgezogenen Tonfall der Oberklasse, den Maisie erst hatte lernen müssen.
»Schmeckt's?«
»Der Honig schon.«
»Ich glaube, ich nehme auch etwas davon«, sagte Maisie und setzte sich an den Tisch. Das ist allemal bekömmlicher als die geräucherten Heringe und die gepfefferten und gerösteten Nierchen, die man uns Erwachsenen morgens vorsetzt, dachte sie. Bertie kam nicht auf Hugh. Als Baby hatte er Solly ähnlich gesehen - a ll e Babys sahen Solly ähnlich -, und nun erinnerte er mit seinem roten Schopf und den grünen Augen eher an seine Mutter. Nur hin und wieder - vor allem dann, wenn er sie verschmitzt angrinste - erkannte Maisie auch gewisse Züge Hughs an ihm, doch von einer unverkennbaren Ähnlichkeit konnte glücklicherweise keine Rede sein.
Ein Kindermädchen brachte ihr einen Teller Brei mit Honig, und Maisie kostete davon.
»Schmeckt's, Mama?« fragte Bertie.
»Man spricht nicht mit vollem Mund, Bertie«, fuhr Anne dazwischen. Anne Kingsbridge war eine altkluge Siebenjährige, die Bertie und ihren fünfjährigen Bruder Freddy bei jeder Gelegenheit den Altersunterschied spüren ließ. »Köstlich«, sagte Maisie.
»Wollt ihr auch noch Toast mit Butter, Kinder?« fragte ein anderes Kindermädchen, und alle riefen im Chor: »Jaaaa!« Daß ihr Sohn von Dienern und Dienstmädchen umgeben aufwachsen sollte, war Maisie zunächst unnatürlich vorgekommen, und sie hatte gefürchtet, er könne verhätschelt werden. Bald war ihr jedoch klargeworden, daß reiche Kinder genauso im Dreck spielten, über Mauern kletterten und sich prügelten wie arme. Der Unterschied bestand im wesentlichen darin, daß die Leute, die hinter ihnen her räumten, bezahlt wurden.
Maisie hätte gerne mehr Kinder gehabt, Sollys Kinder, aber bei Berties Geburt war irgend etwas schiefgegangen. Sie könne kein Kind mehr empfangen, hatten ihr die Schweizer Ärzte mitgeteilt, und ihre Voraussage hatte sich als richtig erwiesen: Fünf Jahre lang hatte sie mit Solly geschlafen, und nie war ihre Periode ausgeblieben. Bertie würde ihr einziges Kind bleiben. Weil Solly nun niemals eigene Kinder haben würde, tat er ihr furchtbar leid, obwohl er selbst von sich sagte, er habe in seinem Leben schon mehr Glück erfahren, als ein Mann sich je verdienen könne. Kurz nach Maisie erschien auch die Herzogin, Kingos Frau, im Eßzimmer der Kinder und schloß sich der Frühstücksgesellschaft an. Im Freundeskreis wurde sie nur Liz genannt. Später, als sie ihren Sprößlingen Hände und Gesichter säuberten, sagte sie zu Maisie: »Meine Mutter hätte so etwas nie getan, weißt du? Sie sah uns nur, wenn wir blitzblank geschrubbt und picobello angezogen waren. Wie unnatürlich!« Maisie lächelte. Bloß weil sie ihren eigenen Kindern das Gesicht wusch, kam Liz sich schon ungeheuer natürlich vor.
Maisie und Liz blieben bei den Kindern, bis gegen zehn Uhr die Gouvernante eintraf und die Kleinen mit Zeichen- und Malarbeiten beschäftigte. Dann kehrten sie in ihre Privatzimmer zurück.
Es war ein ruhiger Tag heute, an dem auch keine Jagd auf dem Programm stand. Von den Männern waren einige zum Fischen gegangen, andere streiften mit ein, zwei Hunden in den Wäldern umher und schossen Kaninchen. Die Damen - und jene Herren, denen die Damen lieber waren als die Kaninchen - gingen vor dem Mittagessen im Park spazieren.
Solly hatte gefrühstückt und machte sich ausgehfertig. Er trug einen braunen Tweedanzug mit kurzer Jacke. Maisie gab ihm einen Kuß und half ihm beim Anziehen seiner knöchelhohen Stiefeletten. Wäre seine Frau nicht gerade in der Nähe gewesen, hätte Solly seinen Kammerdiener bemühen müssen: Da er sich nicht weit genug vorbeugen konnte, war er nicht imstande, seine Schnürsenkel selbst zuzubinden. Während Maisie sich Pelzmantel und Pelzmütze anzog, warf Solly sich einen schweren Schottenmantel mit Cape über und setzte sich eine dazu passende Melone auf den Kopf. So ausstaffiert, gingen sie hinunter in die zugige Halle und gesellten sich zu den anderen.
Es war ein strahlender, frostiger Morgen - herrlich, wenn man einen Pelzmantel besaß, schiere Folter dagegen für jemanden, der barfuß in einem Slumquartier hauste, wo der Wind durch alle Ritzen pfiff. Maisie erinnerte sich gerne an die Entbehrungen ihrer Kindheit und Jugend. Der Kontrast verstärkte die Genugtuung, die es ihr bereitete, mit einem der reichsten Männer der Welt verheiratet zu sein.
Im Park nahmen Kingo und Solly sie in die
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