Die Pfeiler der Macht
Küßchen gute Nacht wünschte, einen erregten Glanz, getrübt durch eine kleine Prise Neid.
Sie ging in ihr Schlafzimmer und schloß die Tür. Im Kamin brannte ein munteres Kohlenfeuer, und auf dem Sims sowie auf der Frisierkommode flackerten Kerzen. Für den Fall, daß sie in der Nacht Hunger bekommen sollte, stand auf den beiden Nachttischchen wie üblich je ein Tablett mit belegten Brötchen und einer Flasche Sherry bereit. Obwohl Maisie noch nie etwas davon angerührt hatte, ließ sich das guttrainierte Hauspersonal von Kingsbridge Manor von dieser Gewohnheit nicht abbringen. Sie begann sich zu entkleiden. Wahrscheinlich täuschen sie sich alle gewaltig, und Hugh kommt heute nacht gar nicht zu mir, dachte sie. Aber gerade die Vorstellung, er könne nicht kommen, traf sie wie ein schmerzhafter Stich, und sie gestand sich ein, daß sie sich nach ihm sehnte. Hier, durch diese Tür sollte er kommen, so daß sie ihn in die Arme nehmen und ihn küssen könnte - richtig küssen diesmal, nicht mit schlechtem Gewissen wie vorhin im Garten, sondern gierig und ohne Scham. Die Erinnerung an jene Nacht vor sechs Jahren, die Nacht nach den Rennen von Goodwood, überwältigte sie. Sie sah das schmale Bett im Hause seiner Tante vor sich und sein Gesicht, sah, wie er sie anstarrte, als sie ihr Kleid auszog ...
Sie betrachtete ihren Körper in dem hohen Spiegel. Hugh würde merken, daß er sich verändert hatte. Vor sechs Jahren waren ihre Brustwarzen klein und rosa und eingezogen wie Grübchen gewesen. Dann hatte sie Bertie gestillt, und seither waren sie groß und erdbeerrot und standen ein wenig vor. Von der Natur mit einer Wespentaille ausgestattet, hatte sie als Mädchen überdies nie ein Korsett tragen müssen. Doch nach der Schwangerschaft hatte auch ihre Taille nie mehr ganz zur alten Form zurückgefunden. Mit schweren Schritten kamen die Männer die Treppe hinauf; sie lachten über irgendeinen Witz. Hugh hatte schon recht: Ein kleines bißchen Ehebruch nach einem lustigen Abend im Landhaus würde hier niemanden schockieren. Müssen sie sich ihrem Freund Solly gegenüber nicht treulos vorkommen? fragte sie sich, ehe sie wie ein Schlag ins Gesicht die Erkenntnis traf, daß die einzige Person, die sich Treulosigkeit gegenüber Solly vorzuwerfen hätte, sie selber war.
Maisie hatte den ganzen Abend lang jeden Gedanken an Solly von sich gewiesen, doch nun kehrte sein Geist zu ihr zurück: der harmlose, nette Solly; der freundliche, großzügige Solly; der Mann, der sie über alles liebte; der Mann, der sich so liebevoll um Bertie kümmerte, obwohl er wußte, daß der Kleine das Kind eines anderen Mannes war. Kaum ist er ein paar Stunden aus dem Haus, bin ich drauf und dran, mit einem anderen Mann ins Bett zu gehen, dachte sie. Was bin ich eigentlich für eine Frau? Spontan ging sie zur Tür und drehte den Schlüssel um. Sie wußte jetzt auch, warum ihr jener eine Satz Hughs so mißfallen hatte. In eurem Kreis hat man do c h gegen derlei Dinge nichts, dafür ist er doch bekannt... Diese Worte würdigten ihre Gefühle für ihn herab, machten sie gemein, brachten sie auf das Niveau x-beliebiger Tändeleien, Liebschaften und Seitensprünge, die den Damen der Gesellschaft Gesprächsstoff lieferten. Nein, so etwas hatte Solly nicht verdient ...
Aber ich will ihn, dachte sie, ich will Hugh ... Bei dem Gedanken, auf die Nacht mit ihm zu verzichten, hätte sie am liebsten geweint. Sie dachte an sein jungenhaftes Lächeln und seine knochige Brust, die blauen Augen und die weiche weiße Haut, und wieder sah sie sein Gesicht vor sich, als er ihren Körper betrachtete, jene Miene, in die sich Staunen und Glückseligkeit, Begierde und schiere Freude mischten. Auf all dies sollte sie verzichten? Es war so schwer ..
Es klopfte leise an der Tür.
Maisie stand nackt in der Zimmermitte. Sie spürte nichts mehr und war wie gelähmt.
Der Türknopf drehte sich, die Tür wurde nach innen gedrückt, aber sie öffnete sich natürlich nicht. Eine flüsternde Stimme nannte sie beim Namen. Maisie ging zur Tür und legte die Hand auf den Schlüssel. »Maisie!« rief er leise. »Ich bin's, Hugh!«
Ihre Sehnsucht nach ihm war so groß, daß allein der Klang seiner Stimme sie feucht werden ließ. Sie steckte die Hand in den Mund und biß sich kräftig in den Finger, aber auch der Schmerz vermochte ihre Lust nicht zu stillen.
Wieder klopfte er an die Tür. »Maisie? Läßt du mich rein?« Sie lehnte sich an die Wand. Tränen strömten ihr über das
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