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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Möglichkeit, Madeleine zu entwaffnen und sie gleichzeitig zur Verbündeten zu machen? Augusta dachte gründlich darüber nach und fand schließlich die richtige Strategie: Statt Madeleine mit ihrem Wissen einzuschüchtern, tat sie, als stünde sie auf ihrer Seite. »Ein gutgemeinter Rat, liebe Madeleine«, hatte sie ihr zugeflüstert. »Mrs. Baxter ist nicht vertrauenswürdig. Sag doch deinem Vicomte, daß er sich um einen diskreteren Treffpunkt bemühen muß.« Madeleine hatte sie prompt um die Wahrung des Geheimnisses angefleht. Augusta schwor bereitwillig ewiges Schweigen, was Madeleine mit geradezu rührender Dankbarkeit quittierte. Von jenem Tag an gab es keine Rivalität mehr zwischen den beiden Frauen.
    Jetzt nahm Augusta Madeleine beiseite und sagte: »Komm, ich zeig' dir mein Zimmer. Es wird dir bestimmt gefallen.«
    Im ersten Stock befanden sich sowohl ihr als auch Josephs Schlaf- und Ankleidezimmer und ein Arbeitszimmer. Augusta führte ihre Schwägerin direkt in ihr eigenes Schlafzimmer, schloß die Tür hinter sich und wartete auf Madeleines Reaktion. Der Raum war nach der neuesten Mode im japanischen Stil eingerichtet, mit geflochtenen Stühlen, Pfauenaugentapete und Porzellantellern auf dem Kaminsims. Den riesigen Kleiderschrank zierten aufgemalte Motive aus Japan, und der Fenstersitz im Erker wurde teilweise von Libellenflügel-Stores verdeckt. »Wie gewagt, Augusta!« rief Madeleine aus. »Danke.« Madeleines Reaktion machte Augusta beinahe glücklich. »Eigentlich wollte ich einen besseren Vorhangstoff haben, doch bei Liberty's war er schon ausverkauft. Komm, schau dir auch noch Josephs Zimmer an.«
    Sie ging durch die Verbindungstür voran. Josephs Schlafzimmer war im gleichen Stil, wenn auch in gedämpfteren Tönen möbliert, mit lederfarbenen Tapeten und Brokatvorhängen. Augustas ganzer Stolz galt jedoch einer lackierten Vitrine, in der Josephs Sammlung juwelenbesetzter Schnupftabaksdosen auslag. »Wie exzentrisch Joseph doch ist«, meinte Madeleine mit einem Blick auf die Sammlung.
    Augusta lächelte nur. Joseph war genaugenommen nicht im mindesten exzentrisch, doch wenn ein hartgesottener Methodist und Bankier sich eine derart erlesene und frivole Sammlung zulegte, war das schon irgendwie komisch. Die ganze Familie amüsierte sich darüber. »Er meint, sie seien eine gute Geldanlage«, sagte Augusta. Ein Diamanthalsband für seine Frau wäre eine ebenso gute Geldanlage gewesen, doch solche Dinge würde er ihr nie kaufen: Methodisten hielten Geschmeide für überflüssigen Luxus.
    »Jeder Mann sollte ein Steckenpferd haben«, sagte Madeleine.
    »Dann kommt er nicht auf dumme Gedanken.« Was sie eigentlich meinte, war: Das hält ihn von den Freudenhäusern fern. Die unausgesprochene Anspielung auf die läßlichen Sünden der Männer rief Augusta wieder ihre eigentlichen Absichten in Erinnerung. Sachte, sachte, ermahnte sie sich selbst.
    »Madeleine, meine Liebe, so sag mir doch, was wir wegen Samuel und seinem ›Sekretär‹ unternehmen können?« Madeleine war verwirrt. »Müssen wir denn da etwas unternehmen?«
    »Wenn Samuel Seniorpartner werden soll, bleibt uns gar nichts anderes übrig.«
    »Warum?«
    »Meine Liebe, der Seniorpartner des Bankhauses Pilaster hat es mit Botschaftern, Staatsoberhäuptern und sogar königlichen Hoheiten zu tun. Sein Privatleben muß also untadelig, wirklich vollkommen untadelig sein.«
    Madeleine dämmerte es allmählich, und sie errötete. »Du willst doch wohl nicht andeuten, daß Samuel irgendwie ... abartig veranlagt ist?«
    Genau darauf wollte Augusta hinaus. Sie hütete sich allerdings, es selbst auszusprechen, denn in diesem Fall hätte Madeleine sich bloß bemüßigt gefühlt, ihren Cousin zu verteidigen. »So genau möchte ich das niemals wissen«, sagte sie ausweichend. »Aber es kommt natürlich darauf an, was die Leute denken.« Madeleine war noch nicht überzeugt. »Glaubst du wirklich, daß die Leute ... so etwas denken?«
    Augusta mußte sich zur Geduld mit Madeleines Zartgefühl zwingen. »Meine Liebe, wir sind schließlich beide verheiratet und wissen, daß die Männer viehische Gelüste haben. Alle Welt geht davon aus, daß ein unverheirateter Mann von dreiundfünfzig Jahren, der mit einem hübschen jungen Kerl zusammenlebt, ein verderbtes Leben führt - und, weiß der Himmel, in den meisten Fällen hat die Welt wahrscheinlich recht.«
    Madeleine runzelte bekümmert die Stirn, doch bevor sie eine Antwort geben konnte, klopfte es an der Tür.

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