Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
haben, getrennt von denen, die Sie noch nicht durchgesehen haben.«
    Mulberry gab ein nichtssagendes Grunzen von sich. Er hängte seine Melone an den Haken hinter der Tür und setzte sich an seinen Tisch. Schließlich bemerkte er: »Probieren wir's mal aus - vielleicht taugt es ja was. Aber bevor Sie wieder einmal eine Ihrer erfinderischen Ideen in die Tat umsetzen, sind Sie vielleicht so freundlich, mich vorher zu fragen. Dies ist schließlich mein Büro, und ich bin der Bürovorsteher.«
    »Gewiß«, erwiderte Hugh. »Ich bitte um Entschuldigung.« Er wußte natürlich, daß er Mulberrys Erlaubnis hätte einholen müssen, war aber von seiner Idee so begeistert gewesen, daß ihm einfach die Geduld dafür gefehlt hatte.
    »Gestern war der letzte Emissionstag der Rußland-Anleihen«, fuhr Mulberry fort. »Bitte gehen Sie hinunter in den Postraum, und kümmern Sie sich um die Zählung der Zeichnungen.«
    »Sehr wohl.« Die Bank finanzierte eine Anleihe in Höhe von zwei Millionen Pfund für die russische Regierung. Sie hatte daher Anleihen zum Nennwert von hundert Pfund Sterling ausgegeben, die fünf Prozent Zinsen per annum eintrugen. Da die Anleihen jedoch zum Preis von dreiundneunzig Pfund angeboten wurden, lag der Effektivzins bei fünf drei Achtel Prozent. Der größte Teil der Anleihen war von anderen Banken in London und Paris aufgekauft, ein Teil aber auch privaten Interessenten angeboten worden, und nun mußte gezählt werden, wie viele Anleihen gezeichnet worden waren.
    »Wir können nur hoffen, daß wir mehr Zeichnungen haben, als Anleihen zur Verfügung stehen«, sagte Mulberry.
    »Warum?«
    »Weil dann diejenigen, die leer ausgegangen sind, morgen versuchen werden, die Papiere auf dem freien Markt zu kaufen, und das wird den Preis vielleicht auf fünfundneunzig Pfund hinauftreiben. In diesem Fall werden alle unsere Kunden das Gefühl haben, sie hätten ein gutes Geschäft gemacht.«
    Hugh nickte. »Und wenn zu wenige gezeichnet haben?«
    »Dann muß die Bank dafür geradestehen und den Rest aufkaufen - für dreiundneunzig Pfund. Und morgen sinkt der Preis vielleicht auf zwei- oder dreiundneunzig Pfund; wir würden daher also Verlust machen.«
    »Ach so.«
    »Also fort mit Ihnen.«
    Hugh verließ Mulberrys Büro im zweiten Stock und rannte die Treppen hinunter. Er war froh, daß Mulberry sein Ablagesystem akzeptiert hatte. Daß die Sache mit dem verlegten Seefrachtbrief glimpflich ausgegangen war, erleichterte ihn sehr. Im ersten Stock, wo das Direktionszimmer lag, begegnete er Samuel Pilaster, der in seinem silbergrauen Gehrock mit der marineblauen Krawatte sehr adrett aussah. »Guten Morgen, Onkel Samuel«, grüßte Hugh.
    »Morgen, Hugh. Was hast du denn vor?« Samuel zeigte mehr Interesse an Hughs Laufbahn als die anderen Teilhaber. »Die Zeichnungen für die Rußland-Anleihe zählen.« Samuel lächelte und zeigte seine schief stehenden Zähne. »Wie schaffst du es nur, so guter Laune zu sein, wenn ein so langweiliger Tag vor dir liegt!«
    Auf der Treppe nach unten mußte Hugh daran denken, daß seit einiger Zeit innerhalb der Familie hinter vorgehaltener Hand über Onkel Samuel und seinen Sekretär gemunkelt wurde. Er selbst fand überhaupt nichts dabei, daß Onkel Samuel »weibisch« war, wie die Leute das nannten. Frauen und Pfarrer mochten die geschlechtliche Liebe zwischen Männern als Perversion bezeichnen, doch in Schulen wie Windfield kam so etwas immer wieder vor, und niemand kam dabei zu Schaden.
    Im Erdgeschoß betrat er die große Schalterhalle. Es war erst neun Uhr dreißig, und noch immer strömten Dutzende von Bankangestellten, denen der Geruch von Frühstücksspeck und der Untergrundbahn anhaftete, durchs Eingangsportal herein. Hugh nickte Miss Greengrass, der einzigen weiblichen Angestellten, einen Gruß zu. Bei ihrer Einstellung vor einem Jahr waren in der Bank heiße Debatten über die Frage entbrannt, ob eine Frau dieser Arbeit überhaupt gewachsen sei. Miss Greengrass hatte diesen Diskussionen selbst ein Ende gesetzt, indem sie schon sehr bald außerordentliche Kompetenz an den Tag legte. Sie wird sicher nicht die einzige weibliche Angestellte bleiben, dachte Hugh. Über die rückwärtige Treppe gelangte er ins Kellergeschoß und betrat den Postraum. Zwei Boten sortierten gerade die eingegangenen Sendungen, und die Zeichnungen für die Rußland-Anleihe füllten bereits einen großen Sack. Hugh beschloß, die Formulare von zwei Lehrlingen zählen zu lassen und deren Ergebnisse am

Weitere Kostenlose Bücher