Die Pferde vom Friesenhof 01 - Start mit Hindernissen
Auf dem Rappen ... an der Nordsee?« Emmas Backen glühten plötzlich, während sie jedes Bild studierte. »Ein Reiterhof in der Nähe, das haut mich um. Wir sind gerade erst von Schleswig nach Westerbüll umgezogen. Ich kenne mich noch nicht aus.«
Voller Andacht glitten ihre Finger über die Aufnahmen von den Pferden und den Ferienzimmern.
»Gehört euch der Friesenhof?«
Lea platzte fast vor Stolz. »Gut erkannt.«
»Emma! Nicht auf die kalten Stufen setzen!«
»Mama!« Das Mädchen zog den Kopf ein.
Frau Hansen, eine gut aussehende, schlanke Person Anfang vierzig, hob Emma von der Treppe hoch und drückte sie an sich. Emma ließ die peinliche Behandlung
- schließlich war sie elf - über sich ergehen.
»Du holst dir eine Blasenentzündung auf den kalten Steinen, Schatz. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht pünktlich zurück warst. Und dein Handy hattest du wieder nicht angestellt.«
Die Frau wiegte Emma wie einen Säugling, den sie vor feindlichen Angriffen schützen musste. »Was gibt es denn hier?« Frau Hansen drehte sich zu Lea um und musterte sie witternd aus gletscherblauen Augen.
Lea nagte an ihrer Unterlippe. Wenn sie etwas verabscheute, dann solche besorgten Mütter wie Frau Hansen. Wie die ihre Tochter an sich presste! Dass Emma dieses Getue aushielt!
Ohne mit der Wimper zu zucken hielt Lea dem kühlen Blick stand. Sie fragte sich, an wen Emmas Mutter sie mit ihren wasserblauen Augen erinnerte. Dann fiel ihr der passende Vergleich ein: an einen Schlittenhund, der ein Stück gefrorenes Rentierfleisch begutachtet. Lea beschloss, Emmas Mutter künftig in Gedanken »Schlittenhund« zu nennen.
»Mama, das ist... Wie heißt du eigentlich?«, fragte Emma und wand sich aus den mütterlichen Armen.
»Lea Eichhorn«, sprang Lea schnell ein. »Meine Eltern haben den Friesenhof am Leuchtturmweg gekauft, den neuen Reiterhof.«
Frau Hansen zog eine Augenbraue hoch. »So?«, war alles, was sie sagte.
Lea konnte gut beobachten. Die hochgezogene Augenbraue verriet ihr, was der Schlittenhund dachte: Willst du etwa meine kleine Emma zum Reiten verführen? Auf diesen gefährlichen, hohen Tieren, die nach allen Seiten steil abfallen? Das weiß ich zu verhindern.
Frau Hansen sagte noch einmal: »So?« Und zu Emma:
»Bitte halte dich nicht zu lange auf.« Dann ging sie wieder nach oben.
»Meine Güte«, sagte Lea erschüttert. »Du tust mir Leid. Wie hältst du das aus?«
Emma zuckte die Schultern. »Sie meint es gut, aber sie nervt natürlich. Auf welche Schule gehst du?« »Theodor-Storm-Gymnasium. Sechste Klasse.«
Emma sprang auf. Zum ersten Mal zeigte sie Temperament. »Ich auch. Super, dann treffen wir uns. Ich kenne sonst niemand.«
Lea fand die Nachricht auch nicht schlecht. Das Schrieben in Westerbüll ließ sich wider Erwarten gut an. Jetzt kannte sie schon fünf Mädchen - die vier von neulich nachts und nun noch eine gewisse Emma Hansen. Nicht, dass man Emma mit ihren Hamburger Freundinnen vergleichen konnte - aber übel war Emma sicher nicht.
»Na prima«, sagte Lea, »dann hole ich dich morgens mit dem Fahrrad ab.«
Da sank Emma wieder in sich zusammen. Sie winkte ab. »Du glaubst doch nicht, dass meine Mutter das erlaubt. Sie bringt mich mit dem Auto hin und setzt mich auf dem Zebrastreifen vor der Schule ab.«
»Die hat ja einen Knall«, sagte Lea ungerührt.
Emma warf einen Blick zu ihrer Wohnung hinauf, um sich zu vergewissern, dass sie nicht belauscht wurden. »Hm«, murmelte sie und studierte wieder den Prospekt. Unten klappte eine Tür. Lea beugte sich über das Geländer. Zwei Urlauber verließen das Haus. Die Frau blätterte in dem Faltblatt, das Lea ihr vor die Tür gelegt hatte. Der Prospekt kam an. Lea schnaubte verächtlich. Na also. Klara mit ihren Bedenken! Es gab schließlich noch andere Leute, die bei ihnen reiten konnten, wenn die Westerbüller sie schnitten. Urlauber und Neuzugezogene wie Emma zum Beispiel.
»Reitest du?«, fragte Lea und drehte sich wieder zu Emma um.
»Nein. Aber ich habe zwei Ponys.«
Ungläubig starrte Lea das blasse Mädchen an. »Spinnst du? Du hast zwei Ponys und reitest nicht?«
Emma verzog das Gesicht, als ob sie Zahnschmerzen hätte. »Zu gefährlich.«
Dann erzählte sie Lea von ihren beiden Shetlandponys, Herkules und Helena, die sie vor Jahren von ihrem Opa bekommen hatte. »Der einzig Erträgliche in unserer Familie.« Die Shettys standen auf einem Bauernhof in der Nähe, bei Bauer Bosse in Sanderhörn. Früher kümmerte sich
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