Die Pflanzenmalerin
Nächstes?«
Katya beantwortete meine Frage erst, als wir die British Library verlassen hatten und uns im Hof draußen gegenüberstanden. »Das kann ich dir sagen«, begann sie. »Wir spüren sie auf. Wir finden heraus, wer sie war, wo sie gelebt hat und was aus ihr geworden ist.«
Der Wind wirbelte durch den Hof und wehte Katyas Schal hoch, sodass sie ihn wieder in den Kragen stecken musste.
»Hast du auch einen Plan, wie wir vorgehen?« Ich war nicht sehr optimistisch.
»Nein, aber das kommt noch.« Ihr Enthusiasmus schien wieder aufgeflammt zu sein. »Ich hab da so eine Idee. Wir treffen uns heute Nachmittag zu Hause. Bis dahin hab ich mir was überlegt.«
Ich war mir da nicht so sicher. Wir hatten zwar die Vorlage zu Hans Michaels’ Zeichnung gefunden, aber nach wie vor keine Ahnung, was die Frau mit dem Ulieta-Vogel verband. Wir wussten nicht einmal ihren Namen. Und was noch schlimmer war: Überhaupt niemand schien ihren Namen zu kennen. 1773 war sie als Joseph Banks’ Geliebte aufgetaucht, Ende 1774 wieder verschwunden. Genau das war der Haken an der Sache: Der Vogel von Ulieta war erst 1776 nach England gelangt. Ich sagte es ungern, aber unsere Chancen kamen mir ziemlich bescheiden vor.
In der Euston Road verabschiedeten wir uns. Ich sah noch Katyas Haare in Richtung St. Pancras davonwippen, dann verlor ich sie im Gewühl aus den Augen. Ich schob die Hände tiefer in die Taschen und versuchte mich wieder zu konzentrieren. Eigentlich hätte ich nach Hause gehen und einiges an Arbeit nachholen müssen, aber auf die Idee kam ich gar nicht. Stattdessen betrat ich ein Pub und nahm mir bei einem Pint noch einmal die Notizen vor, die ich mir zu dem Artikel im Town & Country Magazine gemacht hatte.
Es war ein erstaunlich modernes Stück Gesellschaftsklatsch - moralische Rechtschaffenheit an der Oberfläche, versteckte Zweideutigkeit darunter -, und je länger ich es studierte, desto misstrauischer wurde ich. Dabei war die Geschichte simpel. Miss B---n war Waise gewesen, Banks hatte sie als junges Mädchen vor seiner Reise mit der Endeavour kennen gelernt und nach seiner Rückkehr wieder ausfindig gemacht. Es gab keinerlei Hinweis darauf, wo er gesucht hatte oder woher sie gekommen war, nichts verriet, wohin sie in den Monaten nach dem Erscheinen des Artikels so plötzlich verschwunden war.
Das war alles, was wir in der Hand hatten. Ohne dieses billige Geschreibsel hätte uns nichts verraten, dass sie überhaupt je existiert hatte. Es war die eine Feder des unbekannten Vogels, und das war kein sehr beruhigender Gedanke.
Die mysteriöse Feder, die James Chapin aus dem Kongo mitgebracht hatte, überzeugte meinen Großvater davon, dass seine Theorie zutraf: Es gab tatsächlich einen noch unentdeckten Pfau in Afrika. Mit einer verbissenen Entschlossenheit, die jeder Logik spottete, machte er sich daran, den Beweis dafür zu liefern. Er begann, eine Expedition nach Afrika zu planen, auf der er die Urwälder durchforschen wollte, bis er Exemplare des Vogels fand. Alles, was er brauchte, waren Proviant, Transportmöglichkeiten und das nötige Geld - und da stieß er auf Hindernisse. Bis dahin hatte er seine Reisen weitgehend selbst finanziert, doch jetzt ging das Familienvermögen langsam zur Neige. Aber er hatte gute Beziehungen, reiche Freunde und einen unerschöpflichen Vorrat an Optimismus. Er gab also bekannt, dass er eine Expedition in den Kongo zu unternehmen gedenke, um einen der westlichen Wissenschaft bis dato unbekannten Pfau zu finden - und wartete darauf, dass Geldmittel und anderweitige Unterstützung hereinkommen würden. Er musste lange warten. Zu seiner Überraschung lachten die Leute über seine Theorie. Ein paar Zeilen zweifelhaften Lateins und eine einzelne Feder erschienen dem Rest der Welt als ein recht dürftiger Beleg. Man machte ihm schmerzhaft und wiederholt klar, dass es sehr viel überzeugenderer Beweise bedurfte, ehe irgendjemand bereit war, Bares herauszurücken.
Ein anderer hätte diesen Rückschlag akzeptiert und die Sache auf sich beruhen lassen, mein Großvater aber fühlte sich in seinem Stolz verletzt und weigerte sich aufzugeben. Je mehr Skepsis ihm entgegengebracht wurde, desto missionarischer gebärdete er sich. Jahre der Frustration folgten, und er wurde fast zu einer Lachnummer in wissenschaftlichen Kreisen: der Mann, der auf Gesellschaften gemieden wurde, der Mann mit dem Pfauen-Spleen.
Als ich in dem Pub in der Euston Road meine Notizen über Miss B. durchsah,
Weitere Kostenlose Bücher