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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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hineingeritten, auch damals hatte er das Schwert so lässig in der Hand gehalten. Nur, dass er auf der anderen Seite gestanden hatte: allein gegen die Eindringlinge. Unwillkürlich zügelte er sein Pferd und verfluchte sich gleich darauf dafür. Er hätte einfach weiter vorangehen und die schmale graue Gestalt über den Haufen …
    Die Gestalt hob die Arme und zog sich die Kapuze vom Kopf. Darunter kamen das schmucklose Gebende und der Nonnenschleier einer Ordensfrau zum Vorschein. Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, während sie immer näher an ihn herantrat. Rudolf erstarrte. Er konnte nur den fassungslosen Blick der jungen Frau im Ordenshabit zurückgeben. Sein Pferd schnaubte nervös und tänzelte ein, zwei Schritte zurück. Es sah aus, als ob der mächtige, in seinem Waffenrock mit dem flammendroten Löwen gekleidete Mann auf dem großen Schlachtross vor der zierlichen Klosterfrau zurückwich. Aber Rudolf kümmerte sich nicht darum. Die Welt war noch mehr ins Schwanken geraten. In Wahrheit stand sie kopf.
    Sie blieb vor ihm stehen und sah zu ihm hoch. Sein Herz klopfte plötzlich so heftig wie damals im Hildebaldsdom, als seine Gefühle übergangslos von Furcht zu Triumph zu Erregung umgeschlagen waren und der Gewissheit, dass er seinem Schicksal gegenüberstand.
    »Du«, flüsterte er.
    »Du«, flüsterte sie.
    Sie starrten sich an.
    »Ich habe all die Jahre nur von dir geträumt«, sagte sie.
    »Ich habe all die Jahre gewusst, dass ich einen Fehler gemacht hatte, dich nicht mit mir genommen zu haben«, sagte er.
    Sie lächelte. Damals hatte sie ihn ohne dieses Lächeln, aber mit blitzenden Augen, geröteten Wangen und schweratmend angesehen – und er hatte sich herabgebeugt und sie geküsst. Er beugte sich wieder herab. Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. Auf einmal war ihm ein Kuss nicht genug. Er ließ das Schwert fallen; das Scheppern der Klinge auf dem Kirchenboden drang nicht bis an seine Ohren. Er schwang sich aus dem Sattel und streckte die Arme nach ihr aus.
    Sie schmiegte sich an ihn. Der Kuss war so natürlich, als wären nicht sieben Jahre zwischen diesem und dem letzten Kuss gewesen. Er fühlte sich so an, als seien in diesen sieben Jahren seine Träume, seine Pläne nicht mehrfach gescheitert; als hätte er sich nicht verbiegen und sich Männern, die er verachtete, unterwerfen müssen; als hätte er nicht einen geheimen Krieg gegen die Menschen geführt, die er damals mit seinem Leben geschützt hatte; als hätte er nicht getötet und töten lassen und das Flehen um Gnade ebenso wie Flüche von seiner Seele abprallen lassen; als hätte er nicht mit Zähnen und Klauen und mit Hass in seinem Herzen versucht, seinen Weg zu machen.
    Als hätte er dem Menschen Rudolf in seinem Herzen Raum gegeben, und nicht dem Grafen.
    Er küsste sie.
    Sie erwiderte den Kuss.
    »Ich habe dich geliebt vom ersten Augenblick an«, sagte er.
    Sie nickte. »Küss mich noch einmal«, sagte sie. »Und dann lass uns zusammen fortgehen. Was willst du hier in dieser Wildnis?«
    Er hörte jemanden lachen und stellte erstaunt fest, dass er es war. Das Lachen fühlte sich so gut an wie nichts anderes in den letzten sieben Jahren. »Ich weiß es nicht«, hörte er sich sagen. »Ich habe es vergessen. Nein, das stimmt nicht: Ich bin hierhergekommen, um dich zu holen.«
    »Ich liebe dich«, sagte sie.
    »Meffridus muss hier in der Kirche sein«, sagte Gabriel an Rudolfs Seite.
    Die Welt schwankte ein drittes Mal und kehrte zurück in die Lage, die sie immer gehabt hatte. Rudolf blinzelte. Er sah in das Gesicht der Zisterziensernonne, deren Andenken ihn in den sieben Jahren seit Colnaburg immer wieder einmal heimgesucht hatte, sah ihre großen dunklen Augen, das schmale Gesicht, das spitze Kinn, die weichen, vollen Lippen. Er hatte für einen Augenblick das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Er saß immer noch auf seinem Pferd, das Schwert in der Hand.
    »Du!«, krächzte er.
    Ihre Augen schienen jeden Quadratzoll seines Gesichts aufsaugen zu wollen. »Ich dachte …«, sagte sie schließlich. »Ich dachte, du wärst …«
    »Erlaucht?«, sagte Gabriel. »Ich habe die Gefangenen hereingebracht. Habt Ihr gehört? Der Sergeant hat alle Häuser räumen lassen und die Leute draußen zusammengetrieben. Meffridus ist nicht dabei.«
    Rudolf gab sich einen Ruck. Er wollte absteigen. Er wollte all das sagen und tun, was er sich in seiner Vision hatte sagen hören und tun sehen. In diesem Moment irrten ihre Blicke

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