Die Pforten der Ewigkeit
verblutet, bis sich endlich jemand um ihn gekümmert hatte. Zwei weitere lebten noch, waren aber so angeschlagen, dass sie einfach in der Kirche zurückgelassen wurden. Die drei Dutzend, die er hier in der Stadt noch zur Verfügung hatte – soweit Rogers erkennen konnte, waren die zehn Mann, die zur Bewachung der Pferde draußen auf der Baustelle eingeteilt waren, weiterhin dort –, hatten ihre Selbstsicherheit verloren. Sie waren darauf vorbereitet gewesen, hilflose Bürger einer kleinen Stadt zu terrorisieren, und nun war auf ihrer Seite das erste Blut geflossen.
Er, sein Vater, Godefroy und Walter wurden von sechs Soldaten bewacht, während die anderen sich bemühten, die panischen Besucher der Christvesper aus der Kirche zu treiben. Auch von den Wizinstenern blieben einige stöhnend und blutend in der Kirche zurück. Im Freien war das Chaos noch größer. Unzureichend gekleidete Menschen, die aus ihren Häusern gezerrt worden waren, vermischten sich weinend und schreiend mit ihren Verwandten und Nachbarn, die aus der Kirche taumelten. Unter normalen Umständen wäre es schon schwer gewesen für dreißig Soldaten, eine ganze Stadt zusammenzuhalten, ohne gleich zu Anfang mindestens fünfzig wahllos zu ermorden, um zu demonstrieren, dass man es ernst meinte. Rogers ahnte, dass es weder Rudolf noch Gabriel auf fünfzig Tote ankam, doch sie waren noch zu sehr damit beschäftigt, Ordnung zu schaffen. Rogers rechnete, dass etwa zweihundert der Wizinstener Bürger in den ersten Minuten in die dunklen Gassen ihrer Stadt entkamen.
»Zweihundert Verbündete«, flüsterte Walter und erlaubte sich ein Grinsen. »Und ein kleiner dicker Notar, der sich als veritabler Krieger entpuppt hat und hier irgendwo rumschleicht.« Er grinste noch breiter. »Unsere Lage bessert sich von Minute zu Minute.«
Rogers warf seinem Vater einen Blick zu. Ramons’ Gesicht war voller Angst. Je länger sich die Sache hinzog, desto länger waren Sariz und Adaliz in der eiskalten Zisterne gefangen. Schon jetzt würden sie vor Kälte schlottern. Wenn ihnen kein bleibender Schaden entstehen sollte, dann war es lebenswichtig, dass Meffridus so schnell wie möglich gefangen wurde. Er schüttelte den Kopf und renkte sich gleichzeitig den Hals aus, um Yrmengard im Trubel zu finden. Als er sie endlich inmitten ihrer Schwestern fand, erkannte er zu seinem Schreck, dass Rudolf sie von mehreren Soldaten hatte einkreisen lassen. Und als wäre der Schock ein Signal für den Grafen gewesen, wandte dieser sich auf seinem Pferd um und sandte Rogers einen hasserfüllten Blick zu. Dann fasste er nach oben und klappte seinen Gesichtsschild herunter. Gabriel packte eine der Nonnen und hob sie hoch. Rogers blieb das Herz stehen – doch es war nicht Yrmengard. Die Nonne wurde auf Rudolfs Pferd gehoben und musste sich hinter seinen Sattel setzen. Dann packte Gabriel noch einmal zu, und diesmal war es Yrmengard. Rudolf setzte sie vor sich, hob das Schwert, schwang es über den Kopf und hielt es danach Yrmengard an die Kehle.
»Tu mir den Gefallen, Arschloch«, knurrte einer der Bewacher. Rogers hatte unwillkürlich zu seinem leeren Schwertgehänge gegriffen und dann einen Schritt in Rudolfs Richtung getan. Rogers’ Blicke flogen zu seinem Vater und zu seinen Freunden. Alle drei schüttelten die Köpfe. Rogers schrie vor Wut auf und ließ dann die Schultern hängen.
Die Soldaten rückten gegen die Menge vor, und diese wich aus – hinauf zur Klostergasse, ein Strom aus schreienden, weinenden und panischen Menschen, Männer, Frauen, Kinder. Der Wind peitschte den Regen über sie hinweg. Es war nichts anderes als ein Viehtrieb. Die Schwestern machten unfreiwillig die Spitze. Sie stolperten vor Rudolf her. Rogers fühlte, wie er von einem der Bewacher vorwärtsgestoßen wurde.
Einer der Soldaten am Rand der Menge stolperte plötzlich und fiel zu Boden. Er kam wieder auf die Beine, wankte ein paar Schritte weiter und brach endgültig zusammen. Rogers stierte ihn an. Ein zweiter Soldat machte einen Satz nach vorne, sein Helm wirbelte davon, und ein neben ihm durch den Regen taumelnder Wizinstener drehte sich halb herum und sank dann auf die Knie, mit beiden Händen nach seinem Hals greifend. Der Soldat tastete sich hastig überall ab und klaubte dann seinen Helm auf. Der auf die Knie gesunkene Wizinstener brach endgültig zusammen. Eine Frau warf sich neben ihm auf den Boden und begann zu kreischen.
»Beschuss von den Dächern!«, schrie der Sergeant. »Beschuss
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