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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Rogers sah, dass Guilhelms rechter Hand der Daumen und die ersten zwei Finger fehlten. Guilhelm packte den leblosen Arm wieder zurück in seinen Schoß. »So, wie er seine Freunde zurückgelassen hat in den Kerkern der Inquisition, damit man ihnen bei lebendigem Leib die Glieder auseinanderriss!«
    »Als wir hörten, dass man Euch verraten habe, war es zu spät. Wir wussten nicht einmal, wo wir nach Euch hätten suchen sollen. Und wenn Papa nicht nach Aragonien geflohen wäre …«
    »… dann säße er heute neben mir und wäre genauso ein Wrack wie ich!«, schrie Guilhelm. »Na und? Wo steht geschrieben, dass es nur einen erwischen muss und nicht alle?«
    »In den Regeln, die unserem Glauben und unserem Zusammenleben zugrunde liegen.«
    Guilhelm stutzte, dann glitt ein Grinsen über sein Gesicht. »Auf dem besten Weg zum perfectus , nicht wahr, mein Junge?«
    »Weit davon entfernt. Ich würde versuchen, Trost aus der Tatsache zu beziehen, dass Ihr noch weiter davon weg seid, aber …«
    »… aber dein Mitleid mit mir ist zu groß, was?«
    »Nein – die Erinnerung daran, dass mein Vater geweint hat, als er hörte, Ihr wärt unter der Folter gestorben.«
    Guilhelm starrte Rogers ein paar Herzschläge lang mit wildem Blick an. Dann lachte er plötzlich freudlos. »Wir brechen morgen auf«, sagte er zu al-Mala’ika. »Kümmere dich darum.«
    Guilhelms Mann fürs Grobe nickte. »Soll ich ihm jetzt gleich die Kniesehnen durchtrennen?«
    Rogers durchfuhr es wie ein Schock. Schweiß brach ihm aus. Er bemühte sich, nicht zu zucken. Seine Blicke fielen unwillkürlich wieder auf Guilhelms nutzlose Beine unter der Decke. Guilhelm bemerkte, wohin er starrte. Der ehemalige Freund von Graf Ramons fletschte die Zähne.
    »Nein«, sagte er. Rogers hatte das Gegenteil erwartet. Er hob den Blick und sah Guilhelm in die Augen. »Einen Krüppel kann jeder abliefern. Ich werde diesen Mann aufrecht stehend seinem Schicksal übergeben.«
    Rogers brauchte sich nicht zu al-Mala’ika umzudrehen, um zu wissen, was der Mann dachte: Sinnloser Stolz eines Versehrten!
    »Er könnte zu fliehen versuchen.«
    Guilhelm sah Rogers von unten herauf an.»Er ist ein Trencavel. Er wird keinen Mann angreifen, der sich nicht wehren kann.«
    Rogers sagte mit tauben Lippen: »Ihr wart meinem Vater die ganze Zeit über so nah und habt nicht einmal verstanden, dass nur immer derjenige, der den Namen Ramons trägt, ein Trencavel sein kann.«
    »Ah ja. Das bringt mich zu der Frage: Wie geht es Jung-Ramons?« Guilhelm zog eine Braue hoch. »Ich fühlte mich immer irgendwie für ihn verantwortlich, weil er doch beinahe meinen Namen getragen hätte.«
    »Er ist vor Carcazona totgetrampelt worden.«
    Guilhelm schwieg für ein paar Augenblicke. Rogers hörte, wie al-Mala’ika hinter ihm einen Schritt zurücktrat, die Zeltbahn beiseiteschob und nach draußen verschwand. Er schämte sich beinahe dafür, wie sehr ihn der Abgang von Guilhelms unheimlichem Handlanger erleichterte.
    »Dann bist du der Erbe des Hauses Trencavel? Obwohl du den falschen Namen hast? Oder …«
    Rogers erinnerte sich daran, dass sein Vater mit ihrem perfectus gesprochen hatte, ob eine weitere Taufe Rogers’ möglich sei, um ihm den Namen Ramons zu geben. Die Namenstradition war eines der wenigen Dinge, an denen sein sonst so pragmatischer Vater regelrecht hing. Sie war auch eines der wenigen Dinge gewesen, über die Rogers je mit seinem Vater gestritten hatte. Er hörte sich selbst brüllen: Ich bin dein Sohn Rogers ! Wenn ich dir als Rogers nicht gefalle, dann ist es vielleicht besser, wenn ich gehe! Und sein Vater hatte zurückgebrüllt: Du gehst nirgendwohin ohne meine Erlaubnis, und wenn ich noch ein Widerwort höre, dann gehst du für die nächsten zwanzig Jahre in die Berge und hütest dort Schafe! Rogers war aus dem Saal gestürmt und hatte im Hinausrennen alle Schilde von den Wänden gerissen und die Bänke umgestoßen, die entlang der Wände standen. Am Abend war sein Vater im Stall erschienen, wohin Rogers geflüchtet war, um sich zu beruhigen. Wortlos hatte er einen Striegel genommen und begonnen, die andere Seite des Pferdes zu bearbeiten, dem sich Rogers gerade widmete. Der Stallbursche, mit dem siebten Sinn eines Knechtes begabt, hatte urplötzlich festgestellt, dass er draußen etwas Wichtiges zu tun hatte, und war verschwunden.
    Sein Vater hatte sich entschuldigt.
    Ich bin doch ein Trencavel, egal wie ich heiße , hatte Rogers gemurmelt.
    Ja, hatte sein Vater gesagt.

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