Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
habe ich bloß gefragt?“
„Es tut mir leid.“
„Wann kommst du zurück?“
„Ich weiß noch nicht genau.“ Ich wusste noch nicht einmal, ob ich überhaupt zurückkommen würde, und das machte mich traurig. Ruthie war tot, aber Megan war noch da. Megan war jetzt die Einzige, die ich noch hatte. Ich drehte mich zu Jimmy und Sawyer um.
Außer diesen beiden.
„Lass dir so viel Zeit, wie du willst, Lizzy. Ich halte dir deinen Job frei.“
„Ich dank dir. Für alles.“
Megan zögerte, als sei sie unschlüssig, ob sie sich nun verabschieden sollte oder nicht. „Du darfst dir nicht länger die Schuld geben.“
Schon früher hatte sie mir das gesagt, doch ich konnte ihrem Rat einfach nicht folgen.
„Max hat dir vertraut.“
„Ja, einmal zu viel.“
„Er hat mir immer alles erzählt, Liz. Von deinen Ahnungen. Dass du bloß die Gegenstände von Leuten berühren musstest und dann wusstest, wo sie waren. Immer und immer wieder hast du Menschen das Leben gerettet. Ihm das Leben gerettet.“
„Nicht oft genug.“
„Was ist denn oft genug? Ich gebe dir keine Schuld, und auch Max hätte dir keine Schuld gegeben. Du selbst musst jetzt endlich aufhören, dir die Schuld daran zu geben. Du hast eine besondere Gabe, nutze sie.“
„Das tue ich“, flüsterte ich.
„Gut. Seit Max’ Tod hast du dich treiben lassen. Du hast dein Ziel aus den Augen verloren, und auf Dauer ist das kein Leben.“
Stille breitete sich zwischen uns aus. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Megan machte mich zwar nicht für den Tod von Max verantwortlich, das hatte ich auch vorher schon gewusst. Doch eigentlich hatte ich immer auf den Tag gewartet, an dem sie mir endlich meine wohlverdiente Strafe – physisch und psychisch – verabreichen würde, doch sie hatte es nie getan.
„Ich melde mich bei dir“, sagte ich und legte auf.
Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich endlich das Gefühl, nicht mehr auf der Stelle zu treten, sondern vorwärtszukommen. Auch wenn ich in den letzten Tagen immer wieder in Angst und Schrecken versetzt und vor neue Herausforderungen gestellt worden war, hat es mich mit Leben gefüllt. Im Angesicht eines blutigen und gewaltsamen Todes hatte ich mich endlich wieder lebendig gefühlt.
„Wie viel habt ihr davon mitgekriegt?“, fragte ich.
„Alles“, sagte Jimmy. Auf meinen überraschten Blick hin sah er hinüber zu Sawyer und sagte achselzuckend: „Wir haben beide ein sehr gutes Gehör.“
„Super.“
Jimmy funkelte Sawyer wütend an. „Was weißt du eigentlich über ihren Tod?“
„Ich?“ Sawyer fasste sich mit einer theatralischen Geste an die nackte Brust und übertrieb etwas mit der Überraschung. „Ich war doch hier.“
„Das behauptest du, aber wir wissen doch alle, dass du lügst. Du bist schneller als das Licht. Woher soll ich wissen, ob du nicht doch dort gewesen bist und ein paar Stunden später wieder hier. Du brauchtest nicht einmal ein verdammtes Flugzeug.“
Ich runzelte die Stirn. „Und du kannst dich in Tiere verwandeln.“
Mit langsamen Bewegungen fuhren seine Finger den Brustkorb entlang bis hinunter zum Bauch. Das schwache Licht der Fenster schien die Konturen der Tätowierungen in wellenförmige Bewegungen zu versetzen. Einen Moment lang sah es so aus, als tanzten die Tiere auf seiner Haut.
Ich gab mir einen Ruck und sah ihm in die Augen. Doch in den grauen Tiefen sah ich nur mich selbst. Ich fühlte eine seltsame Anziehungskraft, so wie ich sie noch nie gespürt hatte. Weder bei ihm, noch bei irgendjemand sonst.
„Du weißt, was ich bin, und kennst meine Kräfte“, sagte er.
„Bei Ruthie waren alle möglichen Arten von Tieren.“
Verächtlich zog er die Mundwinkel herunter. „Und du glaubst, ich war eines davon?“
Ich wusste nicht mehr recht, was ich überhaupt noch glauben sollte. Wem konnte ich noch trauen? Wen sollte ich ausschalten?
„Berühre ihn.“
Die Stimme war so nah an meinem Ohr, dass ich erschrak. Jimmys Stimme.
Nur mit Mühe konnte ich meinen Blick von Sawyer losreißen. „Bist du verrückt?“
„Du hattest schon eine Gabe, lange bevor Ruthie dir ihre gegeben hat. Du konntest Dinge sehen. Was wirst du wohl sehen, wenn du ihn berührst?“
Vielleicht würde ich gar nichts sehen. Andererseits…
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Sawyer zu, der spöttisch lächelte.
Jimmy beugte sich ganz nah zu mir und begann zu flüstern. Warum tat er das bloß? Sawyer konnte sowieso jedes verdammte Wort verstehen. „Berühre
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