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Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)

Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)

Titel: Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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ihn und finde heraus, wo er gewesen ist. Das ist doch deine Gabe, oder? Leute aufspüren.“
    Wir sahen uns in die Augen, und auf einmal war alles wieder da. Wie wir uns gestreichelt, geküsst und geliebt hatten und was ich empfunden hatte, als ich später Bilder von ihm mit einer anderen sah.
    Ich trat einen Schritt zurück. „Ich will das nicht.“
    Daraufhin fluchte Jimmy und drückt mir etwas Kaltes und Schweres in die Hand.
    Seine Kanone.
    „Tu es ihr zuliebe“, stieß er mühsam hervor. „Wenn er da war, erschieß ihn einfach.“
    „Kann man ihn denn damit umbringen?“
    „Keine Ahnung“, sagte Jimmy. „Aber es wird ihn schon irgendwie treffen.“
    Dann stapfte er ins Haus, aber die Tür ließ er offen stehen. Ich starrte die Kanone an.
    „Was ist Phoenix? Fasst du mich jetzt an?“
    Sawyers Flüstern streichelte mich wie ein sanfter Wind, doch es wehte kein Lüftchen; es gab nur ihn und mich und die Pistole. Ich blickte immer noch hinter Jimmy her und fühlte mich hintergangen, verloren, allein.
    War doch nichts Neues.
    Ich drehte mich um, und Sawyer stand plötzlich so dicht vor mir, dass ich ins Stolpern geriet. „Tu das nicht.“
    „Was denn?“ Er kam auf mich zu, einen Schritt, zwei. „Nah genug, damit du mich berühren kannst. Wolltest du das nicht?“
    Nichts wollte ich weniger, doch wann hatten meine Wünsche schon jemals eine Rolle gespielt?
    In dem verzweifelten Versuch, das Unvermeidliche noch ein wenig hinauszuzögern, sagte ich: „W-warum haben die Bestien ihr Blut getrunken?“
    Mit einer vogelähnlichen Bewegung legte er den Kopf schief. Sofort wanderten meine Augen zu dem Adler auf seinem Nacken.
    „Stärke.“ Er lehnte sich so weit zu mir herüber, bis seine Wange beinahe mein Haar streifte, und holte tief Luft. „Seher verströmen sie.“
    Mit zusammengebissenen Zähnen, die Pistole fest umklammert, versuchte ich die andere Hand zu heben, doch es ging nicht.
    „Wie möchtest du mich denn gerne berühren?“
    Seine Stimme umspielte mich wie die Nacht; in meinen Träumen hatte ich sie schon so oft gehört. Vertraut und Angst einflößend zugleich.
    Jahre waren vergangen. Sawyer war keinen Tag älter geworden, aber ich. Deshalb schien sich alles zwischen uns geändert zu haben.
    Langsam, um ihm in die Augen schauen zu können, lehnte ich mich zurück, und dann konnte ich meinen Blick nicht mehr von ihnen lösen. In seinen Augen sah ich all die Tierwesen, die seinen Körper zierten.
    „Fass mich an“, befahl er. „Wie du willst, wo du willst. Ich hab nichts dagegen.“
    Zitternd berührte ich ihn. Jahrhunderte, Äonen strömten auf mich zu und zogen an mir vorbei. Der Wind blies mir das Haar zurück, er war so kühl.
    Überall war er gewesen, in jeder Lebensform. Als Tier hatte er gelebt und sich gepaart. Er hatte geliebt und gelitten. Gehasst und gemordet. Er war wie jeder und doch wie keiner.
    Mit einem dumpfen Geräusch fiel die Kanone auf den Boden, als ich meine rechte Hand neben meine linke auf seine Brust legte.
    Jeder Tätowierung wollte ich nachspüren, um herauszufinden, wo er gewesen war und was er dort gemacht hatte.
    Mit den Fingern strich ich glättend über seine ohnehin schon glatte Haut. Ich konnte keinen Übergang zu den Tätowierungen fühlen. Musste man das nicht eigentlich? Ich hatte keine Ahnung. Bislang hatte ich noch nie eine Tätowierung berührt. Diese schienen jedoch ein Teil von ihm zu sein, nicht, als seien sie nach und nach hinzugefügt worden, sondern vielmehr, als sei er damit geboren.
    Plötzlich überkam mich ein unerklärliches Verlangen, mit der Zunge jede Linie, jede Kurve und Farbe nachzufahren. Ich wollte ihn schmecken, seinen Duft tief in mir aufnehmen, so wie er es mit meinem getan hatte. In ihm lag eine Stärke – jenseits aller Vorstellungskraft. Er war in der Lage, viele Dinge zu tun, aber hatte er auch das getan, was ich befürchtete? Hatte er Ruthie auf dem Gewissen?
    Ich blickte hoch. Er stand so nah vor mir, dass sich unsere Nasen berührten. In seinen Augen sah ich nicht mehr die Tierwesen, sondern nur noch ihn, Sawyer. War das besser oder schlechter? Ich wusste es nicht.
    Ich konnte keine Gedanken lesen. Konnte nicht einfach in den Kopf eines anderen gehen und mir nach Belieben Erinnerungen oder Gefühle herauspicken. Wenn ich jemanden berührte, sah ich Bilder – wo die Person gewesen war und was sie getan hatte –, aber alles konnte ich nicht sehen.
    Meistens sah ich Begebenheiten, die starke Gefühle wie Liebe, Hass,

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