Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
Schultern.
»Was Sie mir allerdings noch nicht verraten haben: Glauben Sie denn, dass die Black Hills verflucht sind?«
»Vielleicht nicht alle. Aber der Inyan Kara … « Seine Augen blickten in die Ferne. »Ja, das glaube ich.«
»Warum?«
»Es gab viele Wanderer, die hinaufgestiegen sind und nie wieder herunterkamen. Merkwürdige Stürme, die aus dem Nichts kamen. Blitze aus heiterem Himmel. Sintflutartige Regenfälle und so. Allein im letzten Jahr gab es etwa ein Dutzend Knochenbrüche. Der Inyan Kara hat einen schlechten Ruf, und die Grundbesitzer lassen nicht mehr jeden auf ihr Land. Man muss eine Erlaubnis anfordern und sogar etwas unterschreiben. Gerichtsverfahren, Sie wissen schon.«
Die Geißel Amerikas: Gerichtsverfahren. Und Anwälte. Gegen Letztere sahen sogar Dämonen beinahe gut aus.
Beinahe.
»In meinen Ohren klingt das so, als läge der Berg in einem Schlechtwettergebiet mit vielen gefährlichen Abhängen und zahlreichen dämlichen Wanderern. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass der Berg einen Sturm hervorrufen kann, oder?«
Ich glaubte es nicht, denn ich wusste, was – oder wer – viel eher dazu in der Lage war.
»Wahrscheinlich nicht.« Er lächelte wieder. Wenn er mit dem Tabakkauen weitermachen wollte, sollte er das Lächeln wirklich besser lassen. »Aber es ist eine tolle Geschichte, nicht wahr?«
»Stimmt.«
»Wollen Sie noch immer zum Inyan Kara?«
»Ja. Wenn man Ihnen Glauben schenken möchte, müsste mich der Berg ja geradezu lieben.«
»Eins noch … « Er wurde wieder ernst. »Die Leute behaupten, etwas gesehen zu haben. Einen … «
Einen alten Mann? Einen jungen? Einen Geist? Ein Gespenst? Eine Erscheinung?
»Einen Kojoten.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte.
»Er ist groß«, fuhr er fort. »Manche glauben, er sei sogar teilweise ein Wolf. Außerdem ist er schwarz. Niemand hier hat jemals einen schwarzen Kojoten gesehen, obwohl man munkelt, dass es sie gibt. Manche behaupten, es sei ein Medizinmann, der seine Gestalt verändern kann.«
Ich lachte zwar, aber es klang gezwungen. Weil ich nämlich auch glaubte, dass es ein Medizinmann war, der seine Gestalt verändern konnte.
Doch es irritierte mich, dass er sich ausgerechnet in einen Kojoten verwandelte. Für die Navajo war es eine Beleidigung, jemanden als Kojoten zu bezeichnen. In ihrer Tradition stand dieses Tier für einen unehrenhaften Charakter, für jemanden, der hässliche Sachen tat und dem man nicht trauen konnte. Sie nannten den Kojoten mah-ih , den Streunenden. Das könnte vielleicht erklären, wie es einen Navajo-Schamanen ins Lakota-Land verschlagen hatte.
»Wenn Sie ihm begegnen«, sagte er eindringlich, »seien Sie vorsichtig. Es ist aggressiv. Manch einer hat das Tier für tollwütig gehalten und verfolgt, doch nie hat jemand, der ein Gewehr bei sich trug, auch nur eine Spur von ihm gefunden. Cleverer kleiner Scheißkerl. Er wird schon seit mehr Jahren beobachtet, als ein Kojote überhaupt leben kann. Ich persönlich glaube ja, dass da oben ein ganzes Rudel lebt.«
Zumindest wusste ich jetzt, nach wem – beziehungsweise nach was – ich Ausschau halten musste.
»Ich werde aufpassen«, sagte ich.
»Tun Sie das.« Der Mann warf den Schlüssel auf den Empfangstresen und zog sich durch eine Tür im hinteren Bereich in ein Zimmer zurück, aus dem der Fernseher tönte: »Willkommen beim Glücksrad!«
Eine neue Nacht, ein neues Motelzimmer, dachte ich, als ich vom Schlüssel Gebrauch machte. Dieses Zimmer unterschied sich kaum von dem davor. Graubraun. Feucht. Dunkel. Die einzige Farbe befand sich in dem abartig hässlichen Bild eines Pfaus, das über dem Bett hing.
Plötzlich wurde mir bewusst, wie müde ich dieser ganzen Sache war. Oder war ich einfach nur müde, und das Alleinsein machte mich depressiv? Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt allein in einem Motel übernachtet hatte. Womöglich noch nie.
Ich spielte mit dem Gedanken, Megan anzurufen. Aber dadurch hätte ich mich nur noch elender gefühlt. Es hätte lediglich dazu geführt, dass ich sie vermisste, die Kinder vermisste, die Bar und meine Wohnung – einfach alles, was ich in der Hoffnung zurückgelassen hatte, wieder dorthin zurückkehren zu können.
Langsam erwachte der Verdacht in mir, dass ich für den Rest meines Lebens nicht mehr als einen oder zwei Tage am selben Ort verbringen würde. Wie lang dieser Rest auch sein mochte.
Der Gedanke daran, mit Draugr-Überresten, die sich noch
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