Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
ging, würde in Zukunft wohl jede Stadt so oder so ähnlich aussehen.
Die Nacht ist zwar kühl, aber nicht kalt. Es ist also entweder ein Sommer irgendwo oder irgendeine Jahreszeit im Süden. Ich trage das Gleiche wie immer – Jeans und ein Messer, ein Tanktop und ein Gewehr, Turnschuhe und Silberkugeln.
Seltsamerweise verstecke ich mich nicht, sondern laufe mitten auf der Straße und lasse das silberne Licht des Mondes wie Weißgoldregen über mich fließen.
»Du verlangtest nach mir?«, rufe ich. »Hier bin ich.«
Niemand antwortet. Ich drehe mich langsam und vorsichtig um mich selbst, lasse den Blick über jedes einzelne Haus, die Fenster, die Dächer und die Türen schweifen. Wen oder was suche ich?
»Lass sie gehen!«, fordere ich.
Ein Lachen rollt durch die Luft: wie eine Metallkugel, die eine feuchte Ölspur hinter sich herzieht. Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, und ich ziehe die Schultern hoch, zwischen denen das unsichtbare Fadenkreuz pulsiert.
Das schabende Geräusch, mit dem ich mein Messer aus der Scheide ziehe, donnert durch die unwirkliche Stille. »Wir hatten doch eine Abmachung.«
Wieder erklingt dieses Lachen, das mich an einen roten Comicteufel mit spitzem, schwarzem Kinnbart und gebogenen Hörnern erinnert.
»Sie im Tausch gegen mich«, sage ich, doch meine Stimme wird schwächer. Allmählich wird mir klar, was ich eigentlich schon immer gewusst habe: eine Abmachung mit dem Teufel ist so viel wert wie überhaupt keine Abmachung.
Einige Meter vor mir entfernt öffnet sich knarrend eine Tür. Dahinter bewegt sich ein Schatten. Eine dünne weiße Hand schiebt sich durch die Öffnung und winkt mich heran.
Ich schlucke. In meiner Kehle steckt eine dunkle, kalte Angst, die mich fast erstickt. Dann gehe ich hinein.
Jimmy hängt an der Wand.
Das Lachen wirbelt wie ein Wind im tiefsten Winter durch den Raum, doch außer uns ist niemand hier.
Ich will auf ihn zulaufen. Ich will weglaufen. Stattdessen stehe ich einfach nur da, mitten im Eingang, und starre ihn an. Sie haben ihn gekreuzigt.
Ich drehe mich um, stolpere nach draußen und übergebe mich.
Als nichts mehr in mir ist außer Wut, schließe ich die Hand fest um mein Messer und kehre zurück.
In großen Schritten durchquere ich den Raum und versuche mit zusammengebissenen Zähnen, die Nägel aus seinen Füßen zu ziehen. Sie sind aus Gold, natürlich. Sonst hätten sie ihn ja überhaupt nicht halten können.
Er stöhnt, öffnet die Augen und flucht, als er mich sieht. »Raus hier«, presst er hervor. »Nimm sie mit und lauf!«
»Eher holt mich der Teufel«, sage ich und reiße mit meinem Messer den ersten Nagel heraus.
Scharf zieht Jimmy die Luft ein. »Baby, was glaubst du eigentlich, wo wir sind?«
»Nicht beim Teufel jedenfalls. Noch nicht.« Obwohl man das, so wie es hier aussah, auch nicht mit Sicherheit sagen konnte. »Wo ist das Kind?«
»Ich weiß es nicht.«
Angst flackert auf. »Geht es ihr gut?«
»Ich glaube schon. Hab sie gesehen, als ich herkam. Und sie seitdem schreien hören.« Seine Stimme wird sanfter, als er sieht, wie ich zusammenzucke. »Sie werden ihr nichts antun. Nichts Ernstes. Aber ich glaube auch nicht, dass sie vorhaben, sie freizulassen. Sie brauchen ihren Tod fast so dringend wie … «
»Meinen Tod«, bringe ich seinen Satz zu Ende.
»Du solltest nicht hier sein. Wenn sie dich töten, ist die Apokalypse wieder da. Ist es das, was du willst?«
»Natürlich nicht.«
»Warum bist du dann hier?«
»Wegen Faith. Aber dich nehm ich auch mit.«
»Idiot.«
»Gern geschehen«, sage ich und reiße den nächsten Nagel heraus. Jimmy presst die Lippen zusammen und wird blass. Aber er fällt nicht in Ohnmacht. Es wäre schon einiges mehr als das nötig, um einen Dhampir zu töten. »Ich hatte es im Griff, Lizzy. Sie im Tausch gegen mich. Das war die Abmachung.«
Ich sehe zu ihm auf. »Die gleiche wie bei mir.«
»Betrügerische Arschlöcher«, sagt er schlaff.
Seine Füße sind frei, ich richte mich auf, um mich um seine rechte Hand zu kümmern. Dabei rutsche ich auf dem Boden aus – im Blut. Mir dreht sich der Magen um. Der Geruch ist widerwärtig.
Komisch. In letzter Zeit war der Geruch von Blut für mich alles andere als widerwärtig gewesen.
Plötzlich merke ich, dass mein Halsband verschwunden ist.
Ich fuhr im Schlaf hoch, stieß mit dem Kopf gegen die Kabinenwand und mit dem Ellbogen gegen die Armlehne meines Sitzes. Das Bild verschwimmt, fast verblasst es. Was hat es zu
Weitere Kostenlose Bücher