Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
wie möglich – am besten überhaupt keine – bezeugen können, was ich bei Sonnenuntergang zu tun gedachte.
Nachdem ich lange und lauwarm geduscht und mir frische Kleidung angezogen hatte, schob ich mich in die Bourbon Street und fand eine Bar – okay, es war hier wohl auch kaum möglich, keine Bar zu finden – , die auf einem riesigen Ungetüm von einem Plasmafernseher ein Baseballspiel übertrug. Dort bestellte ich einen Sazerac – also einen traditionellen New-Orleans-Cocktail mit Rye Whiskey – und frittierten Alligator, gefolgt von einem Muffuletta-Sandwich. Wenn ich den nächsten Morgen noch erleben sollte, würde ich zum Fluss hinuntergehen und Beignets mit starkem, schwarzem Malzkaffee kaufen.
Was hatte diese Stadt nur an sich, das mich so hungrig machte? Wahrscheinlich das Essen.
Als die Sonne in den letzten Zügen lag, spazierte ich zum Hotel zurück. Ein paar Minuten lang hätte ich schwören können, dass mir jemand folgte, aber auch wenn der Tourismus zu dieser Jahreszeit fast zum Erliegen kam, war die Bourbon Street doch immer noch voller Menschen, also waren da tatsächlich Leute hinter mir. Sie konnten gar nichts dagegen tun, ich ging eben vor ihnen.
Ich schlüpfte in einen T-Shirt-Laden und suchte mir ein paar neue Shirts aus, da ich in letzter Zeit so viele hatte wegschmeißen müssen. Dabei hielt ich die Augen nach verdächtigen Personen offen. Eine vergebliche Übung. Jeder hier wirkte irgendwie verdächtig.
Zum Beispiel der Typ, der wie ein Clown angezogen war und an der Straßenecke Saxofon spielte. Oder das Mädchen, das auf der anderen Straßenseite Eis verkaufte und blass genug war, um als die Kaiserin der Untoten durchzugehen. Einige angehende Rentner in schwarzen Lederüberhosen und passenden Westen schlenderten in einen Stripclub. Ein Transvestit, dessen schwarzes Brusthaar in Locken aus dem Ausschnitt seines leichten Sommerkleides quoll, stolzierte den Fußweg entlang und führte dabei eine Katze an der Leine. Die Katze trug eine Mardi-Gras-Maske, die farblich zum Kleid des Mannes passte. Himmel, wie ich diesen Ort liebte!
Es dauerte eine Weile, bis ich ein Shirt fand, das nicht pornografisch war. Ich hätte zum French Market hinübergehen können, dort hätte ich sicherlich etwas Passenderes gefunden. Aber jetzt, nachdem die Sonne untergegangen war, blieb mir keine Zeit mehr.
Ich ignorierte alle Variationen von Trinken, Saufen, Möpsen, Partys – ihr ahnt, worauf das hinausläuft – und begnügte mich mit ICH - LILIE - NOLA -Shirts in drei verschiedenen Farben. Außerdem konnte ich einem winzigen rosa T-Shirt nicht widerstehen, auf dem MARDI - GRAS - PRINZESSIN stand. Das stopfte ich ganz nach unten in meine Tasche.
Als ich den Laden verließ, ging gerade eine junge Frau hinein. Auf ihrem T-Shirt stand: WIRF PERLEN , WENN DU DIE HIER SEHEN WILLST . Der Schriftzug war unter den zahllosen bunten Ketten, die um ihren Hals hingen, kaum zu erkennen. Und es war nicht mal Mardi Gras.
Ich ließ die Lichter und die Musik hinter mir und ging eine ruhigere Seitenstraße hinunter. Es dauerte nicht lange, bis ich hinter mir Schritte hörte. Doch als ich mich dann umsah, war da niemand.
Ich ging weiter, und die Schritte waren wieder da. Sie kamen näher und näher. Mein Messer steckte in der Gürteltasche an meiner Hüfte. Uncool, ja schon. Aber ich konnte schlecht mit einem Messer am Gürtel durch die Bourbon Street laufen. Lieber unstylisch als tot – das war mein Motto.
Ich ging etwas schneller und versuchte, Zeit zu gewinnen, um den Reißverschluss aufzuziehen und eine Hand in die Tasche gleiten zu lassen. Ich schloss die Finger um den Griff und fuhr herum, packte die Person hinter mir am Genick und donnerte sie gegen die nächstbeste Wand.
Es war das Gothic-Mädchen vom Eiscremestand, und in dem Moment, als ich sie berührte, wusste ich, dass sie ein Mensch war. Sie hatte über die Uni nachgedacht. Sie studierte an der Tulane. Das Vampirkostüm war nur eine Show für die Touristen, um Geld zu verdienen und ihre Rechnungen zu bezahlen.
»Tut mir leid.« Ich ließ sie sofort los, das Messer glitt in die Gürteltasche und außer Sichtweite. »Du … äh … « Beschämt fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar.
»Ich habe dich erschreckt«, sagte sie. »Mach dir deswegen keine Sorgen.«
Ich wusste es besser als jeder andere: Wer aussah wie ein Vampir, der war keiner. Bei einem kleinen Mädchen, das im Sonnenschein seilspringt, war die Wahrscheinlichkeit,
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