Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
– für Saywer war beides sehr untypisch. Also folgte ich seinem Fingerzeig und bog in einen zugewachsenen Schotterweg ein, der aus der Stadt herausführte.
„Was ist denn los?“, fragte ich.
Er ignorierte mich einfach, starrte durch die Windschutzscheibe und zitterte förmlich vor Aufregung: wie ein Jagdhund, der gerade Witterung aufgenommen hat.
Zu dieser Jahreszeit standen die Bäume in dichtem Laub, die Äste hingen tief, schlugen seitlich gegen den Impala. Der Sommerduft – flimmernde Hitze, saftige Blätter, Löwenzahn – drang durch das offene Autofenster. Knirschend kämpften sich die Reifen über den steinigen Weg und schienen unsere Einsamkeit nur noch hervorzuheben.
An genau solchen Orten verlor man auf grauenhafte Weise sein Leben. Serienmörder, Perverslinge, Vergewaltiger, Männer, die Haken statt Arme hatten – sie alle wohnten an wild bewachsenen Straßen in kleinen abgelegenen Städtchen, wo durch Inzucht degenerierte Gesetzeshüter nicht einmal imstande waren, einen Strafzettel für Falschparken auszustellen, geschweige denn dass sie es mit einem Psychopathen aufnehmen konnten.
Ich schüttelte den Kopf. Manchmal hatte ich eine viel zu lebhafte Fantasie. Leider war meine Wirklichkeit oft noch viel schlimmer. Hier brachte Saywer etwas zum Zittern, und ich wäre am liebsten weit weggerannt und niemals wiedergekommen.
„Halt an“, befahl Saywer. Und ich gehorchte. „Stell den Motor ab.“
Ich machte den Wagen aus. Wie ein feiner blauer Nebel senkte sich die Stille über uns.
Saywer stieg aus und schloss lautlos die Tür. Mit einem kurzen Blick bedeutete er mir, dasselbe zu tun.
Er wandte den Kopf nach rechts und gab mir einmal ein Zeichen, ihm zu folgen, dann machte er sich auf ins Gebüsch, duckte sich, um den hängenden Ästen auszuweichen und nicht entdeckt zu werden. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Natürlich hätte ich auch beim Wagen bleiben können. Nur dass ich dem Ding da draußen dann die Möglichkeit gegeben hätte, mich ganz allein zu erwischen.
Das würde nicht geschehen.
Nur Sekunden später hatte ich mich gesenkten Hauptes an Saywers Fersen geheftet, der pfeilschnell auf etwas oder jemanden zustürmte.
Vor uns wurde das Gehölz dünner. Ich erhaschte einen Blick auf eine baufällige Hütte, die von einem schäbigen Stück Grün umgeben war. Saywer blieb so plötzlich stehen, dass ich ihn ohne meine übernatürlichen Fähigkeiten bestimmt umgepflügt hätte. Selbst so berührten meine kaum verhüllten Brüste noch seinen nur knapp bekleideten Rücken. Doch er schien keine Notiz davon zu nehmen.
Gerade wollte ich den Mund aufmachen, um zu fragen, wo, wann, wer, wie … und überhaupt … da hob er die Hand und bedeutete mir zu schweigen. In diese Stille hinein fielen Stimmen.
„Das wird dir noch leidtun, dass du hier aufgekreuzt bist.“
„Logo, Alter.“
„Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Machst dich hier einfach breit, wo dir das Haus noch nicht mal gehört.“
Auch wenn die Worte kindisch klangen, waren es doch Männerstimmen. Teenager, dachte ich bei mir, noch bevor Saywer und ich ein wenig näher und ein Stückchen weiter nach links rückten, um einen Blick auf die Bande zu werfen.
Kräftige Bauernjungen, weiß natürlich. War zu erwarten gewesen. So weit südlich von Detroit gab es wohl kaum noch ethnische Minderheiten. Vier Jungen standen in einem Halbkreis um einen Fünften herum.
Dieser Fünfte jedoch warf alle meine Theorien über eine rein hellhäutige Bevölkerung über den Haufen. Zweifellos steckte in diesem Jungen, wie auch bei mir, noch etwas anderes. Zudem war er hochgewachsen und schmal; seine Hände wirkten einfach riesig und seine Füße noch riesiger. Sein Haar war lang und kraus, es schimmerte in allen Braun- und Goldtönen dieser Erde. Bislang waren Gesicht und Körper noch von kindlichen Formen geprägt. Als Mann würde er eines Tages gefährlich werden.
Im Augenblick war seine Nase noch viel zu groß und seine Augenbrauen zu üppig, in dem mehr als sonnengebräunten Gesicht glänzten seine Augen überraschend hell. Aus dieser Entfernung konnte ich nicht beurteilen, ob sie grau, grün oder blau waren, aber es spielte auch keine Rolle. Diese Augen machten ihn zu etwas Besonderem in der einen Welt, während seine Hautfarbe ihn in der anderen besonders erscheinen ließ.
Der Junge sagte nichts. Er hielt sich abwehrbereit, das Gewicht auf den Zehenspitzen, die Hände leicht geballt. Sein Blick ruhte auf dem
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