Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
schwierig. Statt ihre Büros in denjenigen Gebäuden zu haben, in denen sie auch unterrichteten, waren alle Professoren im dritten Stock der Universitätsverwaltung untergebracht.
Es war ein uraltes Gemäuer und hatte, soweit ich erkennen konnte, nicht einmal einen Aufzug. Die Wände hatten Wasserschäden. Im dritten Stock stand nur eine einzige Tür offen, durch die Licht fiel.
Drinnen saß ein Mann ganz allein am Schreibtisch. Bücher stapelten sich überall dort, wo es nicht von Papieren wimmelte. Die Bücherschränke quollen über, gebundene Seminararbeiten waren an beiden Seiten der Wände aufgeschichtet. Auf dem höchsten Stapel thronte ein Hut, der irgendetwas in mir anstieß. Mir kam der Hut zwar bekannt vor, nur wusste ich nicht, woher.
Der Typ hörte uns nicht kommen. Kein Wunder, schließlich befand ich mich in Gesellschaft eines indianischen Gestaltwandlers und eines Löwen in Menschengestalt. In der Regel bewegten sie sich sehr leise, und ich selbst war in dieser Hinsicht auch kein Trampel. Doch in den Ohren des Mannes steckten weiße Kopfhörer, deren Kabel V-förmig zu beiden Seiten seines Nackens zusammenliefen und in seinem hellblauen, kurzärmeligen Hemd mit fest geknöpftem Kragen verschwanden. Dazu trug er einen Schlips und Khakihosen, offene Schuhe mit Socken, die bei dieser Hitze einfach die Hölle sein mussten. Entweder hatte das Verwaltungsgebäude keine Klimaanlage oder die Verantwortlichen sahen keine Veranlassung, sie im Sommer einzuschalten. Im Winter war es hier bestimmt schweinekalt.
Vor ihm lag ein aufgeschlagenes Buch, und daneben befand sich ein vollgekritzelter Notizblock. Mit dem Bleistift klopfte er den Takt zu einem Beat, den ich mühelos ausmachen konnte. Schließlich hatte ich ein überragendes Gehör, und außerdem hatte er es volle Pulle aufgedreht. Natürlich kamen Guns n’Roses so auch am besten rüber.
Saywer machte einen Schritt auf ihn zu, und ich hob mahnend die Hand. Zuerst einmal wollte ich einen Eindruck von diesem Mann bekommen. Xander Whitelaw könnte unsere Rettung sein, oder, wenn er sich als Scharlatan erwies, auch unser Untergang.
Für ein Vorstellungsgespräch lockten sich seine blonden Haare etwas zu lang über dem Kragen, aber für das Sommersemester ging es wohl noch. Ich stellte mir vor, dass seine Haut fahl, geradezu kränklich aussah – kamen Prophezeiungsprofessoren viel an die frische Luft? Doch seine Arme schimmerten goldbraun. Seine Schultern waren zwar schmal, aber gut geformt. Soweit ich es beurteilen konnte, sah er wie ein Marathonläufer aus.
Aus heiterem Himmel drehte sich der Mann nach rechts, hielt den Stift wie ein Mikrofon an den Mund, während er die letzten Zeilen von Paradise City aus vollem Halse mitsang.
Axl hatte nichts zu befürchten.
Durch seine jazzige Seitwärtsbewegung mussten wir auf einmal in sein Blickfeld geraten sein, denn er erstarrte und drehte den Kopf zu uns. Er war viel jünger, als ich erwartet hatte, so ungefähr mein Alter. Vielleicht war das auch gar nicht Xander Whitelaw, sondern eine studentische Hilfskraft.
Sein Gesicht war schmal, das Kinn eckig mit einer kleinen Narbe direkt unter dem Mund, die blonden Haare fielen über braune Augen, die hinter randlosen Brillengläsern steckten. Für einen Bücherwurm – wozu Lehrer, Schriftsteller und Bibliothekare gehörten – war er ganz süß.
Eigentlich hätte ich erwartet, dass er völlig aus der Fassung gebracht war, vielleicht sogar erröten würde, weil wir ihn hatten singen hören. Aber er grinste bloß breit, dadurch wirkte er noch jünger, wenn das überhaupt möglich war, und auch noch ein bisschen interessanter. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, besser noch in einer anderen Welt – und wenn ich eine andere gewesen wäre – , hätte ich vielleicht zurückgelächelt und ihm meine Nummer gegeben oder ihn mit nach Hause genommen.
Und so, wie die Dinge lagen, erwiderte ich sein Lächeln nicht, sondern trat näher und bedeutete ihm, die Stöpsel aus den Ohren zu nehmen.
„Oh.“ Das tat er auch, dann drückte er auf einen Knopf und drehte Axl mittendrin ab. „Tut mir leid.“
„Ich suche Dr. Whitelaw.“
„Sie haben ihn gefunden.“
Seine Stimme hatte einen leichten Südstaatenklang, sodass man sich in Erwartung der nächsten Worte am liebsten tief vornübergebeugt hätte.
„Sie müssen einer der jüngsten Professoren in der Geschichte der Universität sein“, murmelte ich.
Whitelaw lachte. „Eigentlich nicht. Sie wären
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