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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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zusammen, Contessa«,
    rief er ihr nach. »Ich habe noch über so vieles mit dir zu reden.«
    Sie drehte sich nicht einmal um.
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    Jetzt, da er etwas entspannter war, sah Jonas, daß die Gehöfte nicht erst seit kurzem verfallen sein konnten. Auch die Mauern der kleinen Kirche zeigten Risse. Im Kirchenschiff standen drei lange Reihen Tische und Bänke, an denen dicht an dicht Ju-gendliche saßen, viele bewaffnet, jeder einen Napf vor sich, doch niemand aß. Auch Jonas bekam am Eingang einen Napf, eine Kelle Suppe, ein Stück Brot und, nachdem Luigi ein paar Worte zu dem Mädchen, das das Essen ausgab, gesagt hatte, einen Löffel.
    »Das ist jetzt deiner«, sagte Luigi. »Paß gut auf ihn auf, du erhältst keinen zweiten.«
    Alle starrten Jonas an, eher neugierig als drohend, dann wandten sich die Köpfe wie auf Kommando zur anderen Seite.
    Auf der Empore vor den bunten Kirchenfenstern stand ein Tisch quer zu den anderen, dort schienen die ältesten Jungen zu sitzen, sie erhoben sich jetzt, die Contessa trat durch die kleine Tür, durch die einst der Priester den Altarraum betreten hatte. Alle standen auf.
    »Buon' appetito«, sagte die Contessa.
    »Grazie! Altrettanto!« antwortete es im Chor. Luigi stieß Jonas an das Ende eines der Tische.
    Die Contessa hatte in der Mitte der Empore Platz genommen, direkt unter dem hölzernen Kreuz, vor einem Ölgemälde, das unter dem Kruzifix an das 355
    Holz genagelt war. Ein Madonnenbild? Die Frau auf dem Gemälde hielt ein Kind im Arm, aber ihr Lä-
    cheln war durchaus nicht überirdisch, sie trug ein schwarzes Spitzenkleid und glitzernden Schmuck, ihre Haare waren kunstvoll frisiert und sie hatte Ähnlichkeit mit der Contessa, das sah man sogar aus dieser Entfernung. Jonas beobachtete, wie die Contessa sich nach rechts und links unterhielt, ein Bild fiel ihm ein: Das Abendmahl von Leonardo da Vinci.
    Die Contessa und ihre Jünger. Er zählte sie, es waren zwölf. War auch unter ihnen ein Judas?
    »Iß!« Luigi stieß ihn an. Jonas löffelte hastig die Suppe, ein schwer definierbares Gemisch Kohl, Rü-
    ben, Kartoffeln? Es mußten weit über hundert sein, die hier unten saßen, dazu die Contessa und ihre Jünger. Und die Wachen. Viele Mäuler, dachte er. Doch niemand schlang, und niemand holte sich Nach-schlag. Und keiner war so alt wie er, nicht einmal wie die Contessa. Alle kurzgeschoren. Wie im Ge-fängnis. Aber war es das nicht? Und er war gefangen wie sie.
    Die Contessa hatte offensichtlich gewartet, bis auch der letzte sein Essen verdrückt hatte, jetzt stand sie auf und gab damit das Zeichen zum Aufbruch.
    Sie verließ die Kirche wieder durch die Seitentür, ihre Jünger nicht.
    »Einen Moment«, sagte Jonas, »ich möchte mir das Bild ansehen, darf ich?«
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    Es war natürlich nicht die Contessa, diese Frau war ein paar Jahre älter, aber die Ähnlichkeit war frappierend.
    »Santa Antonia«, sagte Luigi andachtsvoll.
    »Schön, nicht wahr?«
    »Wie eine Heilige«, bestätigte Jonas. Er traute sich nicht, Luigi zu fragen, ob sie die Contessa tatsächlich wie eine Heilige verehrten. Und warum.
    Luigi packte seinen Ärmel. »Komm, arbeiten.«
    Holz machen. Jonas sah mit Erstaunen und Re-
    spekt, wie die Kinder arbeiteten, wie geschickt sie mit Säge und Beil umgingen. Anfangs bedachten sie ihn mit ängstlichen und mißtrauischen Blicken, bald arbeiteten sie, ohne ihn zu beachten, schwatzten ungeniert, während sie Holz hackten; er bedauerte, daß es offensichtlich alles Italiener waren, er hätte zu gerne gewußt, worüber sie sprachen.
    Luigi hatte ihm die schwerste Arbeit zugeteilt: die Stämme und dicken Kloben mit Keilen spalten. Jonas packte zu, es tat gut, sich wieder einmal auszuarbei-ten, und es wäre ihm peinlich gewesen, weniger hart zu schuften als diese mageren Kinder.
    Er zog sich aus bis auf die Turnhose, trotzdem war er schweißgebadet, drückende Schwüle lastete jetzt über dem Tal. Er arbeitete bald ruhiger so wie es aussah, würde er genug Gelegenheit haben, sich aus-zuarbeiten –, legte Pausen ein wie die anderen, betrachtete die Gegend. Ein Stück weiter machte das 357
    Tal einen Knick.
    Es muß sich ziemlich weit hinziehen, dachte er. Es mußte hier Felder geben, Weiden für die Kühe. Er versuchte, Luigi auszuhorchen, aber Luigi antwortete nicht, er hatte die Maschinenpistole griffbereit neben sich stehen und hackte Holz, ohne Jonas lange aus den Augen zu lassen. Der Tag zog sich hin, Jonas wurden die Arme schon schwer, und die Schmerzen

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