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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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mußte jetzt topfit sein: dies war vielleicht die Stunde, die über 361
    sein weiteres Schicksal, sein Leben entschied. Er mußte Speeds schlucken. Und er wollte die Kapsel wiederhaben, die beruhigende Gewißheit, jederzeit Schluß machen zu können.
    Die Contessa ging ins Haus und brachte ihm das flache Medikamententäschchen, sie hatte auch an einen Becher Wasser gedacht.
    »Was macht ihr eigentlich, wenn jemand krank wird?« erkundigte sich Jonas. »Habt ihr einen Arzt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Jemand könnte eine Seuche einschleppen«, meinte er.
    »Das ist einer der Gründe, weshalb wir niemanden mehr aufnehmen.«
    »Magst du mir erzählen, wie es euch hierher verschlagen hat?«
    »Warum sollte ich?«
    »Ich möchte dich verstehen«, sagte Jonas.
    Sie sah ihn prüfend an. »Nun gut.« Sie lehnte sich an die Hauswand. »Ich bin hierher geflüchtet, als die Trecks in unser Tal kamen. Du kannst es dir nicht vorstellen, Hunderte, Tausende, sie haben im Handumdrehen alles geplündert, alle niedergemacht, meine ganze Familie, haben sich gegenseitig erschlagen, am Boden zertrampelt.«
    »Nein«, sagte er, »das kann sich niemand vorstellen, der es nicht erlebt hat.«
    »Wir waren vier, die überlebten. Vier von unserem ganzen Dorf. Drei Kinder und ich. Wohin? Ich erin-362
    nerte mich an dieses Tal. Weißt du, es wurde schon vor Jahren verlassen, weil ein Bergrutsch den Zu-gang verschüttet und die meisten Gehöfte zerstört hatte. Dann übernahm es die Armee, verminte die Hänge, Sperrgebiet aber ich hoffte, hier Hilfe zu finden, eine Zuflucht. Wo, wenn nicht hier?
    Um dieses Tal machen alle Straßen einen Bogen.
    Niemand öffnete, wir konnten schreien, so laut wir wollten. Zum Glück schaffte ich es, über das Tor zu klettern. Das Gelände war verlassen.« Sie starrte in die Dunkelheit.
    »Und die anderen? Ihr seid doch weit über hundert.«
    »Habe ich nach und nach hierhergeholt. Allein, das merkte ich schnell, würde ich es nie schaffen, es gab kaum Vorräte. Auch auf die Flucht gehen? Hier kannte ich mich aus. Ich wußte, wo in den Bergen Kühe und Schafe sein mußten, die die Trecks nicht gefunden haben konnten so habe ich die ersten geholt, Hütejungen aus dieser Gegend, dann verspreng-te Kinder, die ihre Leute verloren hatten.«
    »Warum keine Erwachsenen?«
    »Sicher, wenn ich jemand aus meinem Dorf ge-
    funden hätte, Bekannte, aber Fremde? Du bist der erste Erwachsene hier seit…« Sie schwieg abrupt.
    Er fragte nicht, er hatte Angst, mit einer falschen Frage alles zu verderben. »Jetzt verstehe ich«, sagte er, »daß du hier der Chef bist.«
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    »Ich bin die Älteste, das hast du ja gesehen, ich bin in dieser Gegend groß geworden, und ich weiß mehr als die anderen; ich habe zu Hause gelernt, wie man Korn sät und erntet, wie man eine Kuh melkt, sogar, wie man Brot bäckt. Schmeckt es dir?«
    »Etwas ungewöhnlich, aber es schmeckt. Ich kann mir vorstellen, daß es trotzdem nicht leicht ist, sich durchzusetzen.«
    »Jetzt schon.«
    »Die Burschen werden älter, eines Tages kann einer auf die Idee kommen, daß du lieber seine Geliebte als seine Heilige sein solltest. Oder daß er ein besserer Chef wäre.«
    »Man würde ihn lynchen. Steinigen. Ich rate dir, komme nie in Versuchung.«
    »Ist es schon vorgekommen?«
    Keine Antwort.
    »Ich will ja nicht hierbleiben«, sagte Jonas.
    »Willst du nicht!« Sie kicherte. »Du weißt nicht einmal, in welche Richtung du gehen müßtest…«
    »Wenn hier ein Armeelager war, muß es eine
    Straße geben.«
    »Die haben wir längst verschüttet. Wir haben eine Lawine ausgelöst. Es gibt nur einen Weg, und du wirst ihn nicht mal erkennen. Selbst wenn du würdest nur hilflos durch die Berge irren. Die ganze Gegend ist verlassen.«
    »Kommt denn niemand mehr durch das Gebirge?
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    Das glaube ich nicht. Ich furchte, du wiegst dich in deiner Alpenfestung zu sehr in Sicherheit, du unterschätzt die Massen der Flüchtenden, eines Tages werden sie auch in dein Tal kommen ist das wirklich noch nie geschehen?«
    »Was willst du hören? Ja, wir verteidigen unser Tal. Wir töten.
    Jeden. Wir sind zu Killern geworden, meinst du, das macht uns Spaß? Aber wir haben keine Wahl, wir können nicht einmal mehr Kinder aufnehmen, wir sind schon zu viele.«
    Weinte sie? Er hätte sie gerne in den Arm genommen und getröstet, aber er traute sich nicht.
    Dann erschrak er. »Das heißt, daß ich wohl nicht mehr lange leben werde?«
    »Du fragst zuviel«, herrschte sie ihn an. »Und

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