Die Phrrks
viele Kinder ich in diese erbärmliche Welt gesetzt habe. Vierzig, fünfzig, sechzig? Es waren viele Mehrlingsgeburten dabei.« Sie stand auf, 230
zog ihren Kittel hoch. Ihr Bauch war voller Narben.
Gerade, feine, gut verheilte Operationsnarben, die sich dicht nebeneinander vom Slip zum Nabel zogen.
»Kaiserschnitt«, sagte sie, »siebzehnmal. Die anderen habe ich normal geboren. Normal!« Sie ließ den Kittel fallen, spuckte aus. »Pervers ist es. Wider-lich. Unerträglich. Ein Alptraum.
Jede Nacht habe ich Alpträume. Ich nehme die stärksten Schlaftabletten, und trotzdem, Herb, spätestens am Morgen erinnere ich mich an meine Träu-me. An die großen Augen, die traurigen, hilflosen Gesichter, die mich anstarren und ›Mutter‹ schreien.
Ich weiß, das sind nur Ausgeburten meiner Phantasie. Man hat dafür gesorgt, daß ich nie eines der Kinder zu Gesicht bekam.« Sie schwieg unvermittelt, ließ sich ins Gras fallen, schüttelte traurig den Kopf.
Mit einem Schlag sah sie wie eine alte Frau aus.
»Monster«, murmelte sie. »Wahrscheinlich waren es allesamt Monster.«
»Bitte, beruhigen Sie sich, Maud.« Ich legte die Hand auf ihren Arm.
Eine Verrückte? Aber da waren die Narben. Ich wartete, bis sie wieder ruhiger atmete.
»Warum«, fragte ich dann, »warum haben Sie
nicht aufgehört?«
»Weil ich nicht konnte.« Sie lachte bitter. »Ich fühlte mich ja wohl, sauwohl. Solange ich schwanger war. Die Pause nach der Geburt war entsetzlich. Ich 231
habe die Ärzte angebettelt ich war nur glücklich, wenn ich schwanger war, verstehen Sie?«
»Nein.«
»Man hatte mich so konditioniert! Schon als Frank mich zum Arzt brachte, um meine Tauglichkeit un-tersuchen zu lassen das weiß ich heute, damals hatte ich keine Ahnung. Ich wunderte mich nicht einmal, daß ich einen Fünfjahresvertrag bekam, ich unter-zeichnete ihn, als wäre das schon immer mein sehn-lichster Wunsch gewesen. Ich bin Frank sogar um den Hals gefallen vor Glück. Noch am gleichen Tag brachte er mich in das Institut.«
»Ein Institut?«
»Ich dachte zuerst, es sei ein Sanatorium. Oder ein Hotel.
Traumhaft, wie im Film: eine riesige Halle mit Palmen, ein erstklassiges Restaurant, Spielzimmer, Sauna, Schwimmhalle und Swimmingpool, eine gro-
ße Bibliothek und Videothek, ein herrlicher Park, ich bekam ein helles, freundliches Appartement, das ich mir selbst einrichten durfte wir sollten uns ja wohl fühlen.«
»Es waren noch mehr Frauen dort?«
»Zwanzig bis dreißig, das wechselte. Ich blieb am längsten von allen, ich war besonders geeignet.«
»Durften Sie das Sanatorium verlassen?«
»Ich wollte nicht. Sobald ich das Tor hinter mir ließ, bekam ich panische Angst. Ich mußte schnell 232
wieder zurück.« Sie richtete sich auf, sah mich an.
»Fast dreißig Jahre habe ich dort verbracht.«
»Haben Sie in diesem ›Institut‹ gearbeitet?«
»Das durften wir nicht. Wir durften den Komplex nicht einmal betreten. Wir hatten auch kein Bedürf-nis danach. Wir blieben in unserem Bereich. Nicht einmal neugierig waren wir, haben nie miteinander darüber gesprochen. Es war, als existierte das andere überhaupt nicht, dabei lag der Komplex nur ein paar hundert Meter entfernt.«
»Was haben Sie denn die ganze Zeit getan?«
»Gefaulenzt, das sagte ich doch. Es gab nur wenige feste Termine Untersuchungen, Gymnastik, die Essenszeiten sonst konnte man tun und lassen, was man wollte. Sie haben es ja gemerkt, ich habe viel ferngesehen. Und gelesen. In den ersten Jahren habe ich mein Abitur nachgemacht im Fernkurs, dann sogar studiert, Germanistik, Romanistik, Geschichte, Elektronik, nichts zu Ende; ich hatte ja Angst, zu den Prüfungen zu fahren.«
»Bekamen Sie Besuch?«
»Wen denn? Frank? Ich habe ihn nie wiedergesehen.«
»Und die anderen Frauen?«
»Auch nicht. Das waren alles Frauen wie ich, ohne Anhang, ohne Familie. Ich weiß auch nicht, ob man Besucher eingelassen hätte.«
»Das Gelände war abgeschlossen?«
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»Rundum zog sich eine hohe Mauer mit einem
Drahtgitter darauf, vermutlich war es elektrisch geladen, vor der Mauer ein breiter, immer frisch gehark-ter Streifen, den man nicht betreten durfte.«
»Innen oder außen?«
»Auf beiden Seiten.«
»Elektronische Alarmanlagen, Infrarotstrahler?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wachen, Patrouillen?«
»Vielleicht draußen. Ich kenne nur die Wachen am Tor.«
»Uniformierte? Was für Uniformen trugen sie?
Waren sie bewaffnet?«
»Ich glaube nicht. Es waren freundliche ältere
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