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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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überaus überzeugender Märchen-erzähler, er schien völlig mitgenommen von seiner Geschichte, sogar Tränen rollten über die faltigen Wangen und verloren sich im Dickicht des Bartes.
    »Schneewittchens Mann hat sie umbringen lassen.
    Es hieß, sie habe es mit den Zwergen getrieben mag sein, daß sie den König mit meinen Jungs betrogen hat, wenn, dann sicher aus Mitleid, aber es gab wilde Gerüchte von schwarzen Messen und nächtlichen Orgien, die Zwerge hätten die Königin verzaubert.«
    Der Alte kippte seinen Schnaps hinunter und gleich noch einen zweiten. »Man hat sie alle sechs wegen Zauberei zum Tode verurteilt, und als sie öffentlich geköpft wurden, schien jedermann das Urteil ge-rechtfertigt, denn im gleichen Augenblick wurden sie unsichtbar, lösten sich in Luft auf.«
    Die Geschichte kannte ich doch? Dann fiel es mir ein. Die Sage von der verzauberten Königstochter.
    Der Alte brachte zwei Märchen durcheinander. Aber nicht ungeschickt.
    »In diesem Augenblick erlosch die Materilisation, verstehst du? Ich habe geheult vor Wut, daß ich mich nicht vier Wochen früher auf meine Pflichten als Ex-peditionsleiter besonnen hatte. Ich dachte daran, mich umzubringen, aber als ich in die Station kam, um die Meldung über das Scheitern unserer Mission abzusetzen, besann ich mich. Mein Tod würde alles nur noch schlimmer machen. Ich hatte die Pflicht 330
    weiterzuleben.«
    »Und was hast du seitdem gemacht?« fragte ich ihn. »Es muß doch verdammt langweilig gewesen sein all die Jahre.«
    »Nicht langweilig, aber verdammt einsam. Ich ha-be gearbeitet.
    So gut ich konnte, den Planeten erforscht. Eure Entwicklung beobachtet. Gewartet, daß man mich abholt …«
    »Und in der Kneipe gesessen«, sagte ich.
    »Quatsch. Ich wage mich nur zu Weihnachten unter Menschen. Kein Mensch glaubt doch noch an Zwerge. Aber um diese Zeit falle ich nicht auf, jeder hält mich für einen alten Knaben, der Weihnachtsmann gespielt hat – nur Heiligabend setze ich mich in eine Kneipe; ihr Menschen seid ja eine ziemlich primitive Rasse, immer noch, aber, das muß man euch lassen, der Alkohol ist eine tolle Erfindung.
    Gieß noch mal ein.«
    »Schneewittchen hast du nicht wiedergesehen?«
    Ich zupfte ihn am Bart. »Kamst du nie in Versuchung?«
    »Doch, oft. Einmal habe ich mich sogar auf den Weg gemacht, dann sagte ich mir, daß sie inzwischen eine alte Frau geworden sein mußte, und kehrte um.
    Ich wollte sie lieber so in Erinnerung behalten, wie ich sie gekannt hatte.«
    »Das verstehe ich gut! Ich kann mir Schneewitt-331
    chen auch nicht mit Runzeln und grauen Haaren vorstellen.«
    »Ich habe immer an sie denken müssen.« Er seufzte. »Auch heute noch was soll's, Schneewittchen ist lange tot.«
    »Sie lebt«, widersprach ich. »Solange es Menschen gibt.
    Schneewittchen ist unsterblich. Wenn auch nicht dein Schneewittchen, sondern das aus dem Märchen.«
    »Ein schönes Märchen, nicht wahr?« Er lächelte versonnen.
    »Für mich das allerschönste«, bestätigte ich, »so poetisch.«
    »Ja, es ist mir ganz gut gelungen.«
    »Willst du etwa behaupten, daß du…?«
    »Ja, ich. Ich habe dieses Märchen in die Welt gesetzt. Weißt du, Schneewittchen war schon zu Leb-zeiten zur Legende geworden, aber die Geschichte gefiel mir nicht, ganz und gar nicht! Mein Schneewittchen als verzauberte, sexbesessene Ehebreche-rin? Und meine Jungs als finstere Zauberer nein!
    Ich erinnerte mich an das Märchen von der bösen Stiefmutter, das Schneewittchen uns aufgetischt hatte, als sie zu uns kam, und habe die Geschichte aus-gebaut. Das ›Spieglein, Spieglein an der Wand‹ ist meine Erfindung. Ich…«
    Der Wirt unterbrach ihn. Nun müßten wir aber ge-332
    hen, Polizeistunde. Es regnete nicht mehr, dicke Flocken rieselten zu Boden, an einigen Stellen lag schon ein wenig Schnee.
    »Mach's gut«, sagte der Alte. »Vielen Dank fürs Zuhören, hat mir richtig gutgetan.«
    »Mir auch.« Ich klopfte ihm auf die Schulter, er reichte mir nicht einmal bis zum Gürtel. »Hat mich gefreut, jemand kennenzulernen, der auch das Schneewittchen liebt.«
    »Weiß ich, was Liebe ist?« fragte er.
    »Wenn man unentwegt Sehnsucht hat, wenn man
    glaubt, ohne den anderen nicht mehr leben zu können…«
    »Dann liebe ich sie immer noch.«
    Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Der Alte schien in der Luft zu schweben.
    »Und fröhliche Weihnachten, das hätte ich fast vergessen«, rief er mir zu, dann verschwand er in der Dunkelheit der Nacht.
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    Die

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