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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Contessa

    »Jup!« schrie Pjotr, so laut, daß alle erschrocken zu ihm hinübersahen. »Jup, jup, jup!«
    Pjotr hatte Marina versprochen, den Fluch nie mehr in ihrer Gegenwart auszustoßen, und in den letzten Tagen hatte er nicht einmal mehr die Kurz-form benutzt. Was war los?
    »Connection plocho«, sagte Pjotr in dem eigenartigen Pilotenslang aus Englisch und Russisch, den sie alle beherrschten. Jonas verstand es ohne weitere Er-klärung: Die Verbindung zu Baikonur war abgerissen. Und innerhalb der nächsten zwanzig Minuten mußten sie landen. Der Treibstoff war ausgegangen, Turbulenzen hatten sie immer wieder zu Bahnkorrek-turen gezwungen, schon zwei Umkreisungen früher als geplant mußten sie zur Landung ansetzen. Sie hatten gehofft, Baikonur würde ihnen einen Flug-platz zuweisen, der noch intakt war und nun? Vor ihnen lag das Alpenmassiv, sie mußten versuchen, noch einmal höher zu gehen und sich ohne Bodenun-terstützung durchzumogeln.
    »Eine Hand immer am Schleudersitz«, befahl
    Pjotr, »was auch geschieht.«
    »Gott schütze uns«, sagte William, schloß die Augen und bekreuzigte sich.
    Jonas sah zum Nebensitz, Marina hatte die Augen 334
    geschlossen, ihre Finger preßten sich um den roten Hebel, daß die Knöchel weiß hervortraten. Jonas legte die Hand beruhigend auf ihren Arm. Er hatte Angst, Marina könnte den Daumen herunterdrücken, bevor Pjotr das Kommando gab, könnte sich aus Versehen hinauskatapultieren und damit den Raumgleiter zum Absturz bringen. Marina lächelte ihn ge-quält an. Jonas blickte an ihr vorbei aus dem Bord-fenster.
    Dichtes wattiges Grau. Über die Tragflächen
    huschten Ströme von Wassertröpfchen, die auf dem kalten Metall kondensierten. Er sah zum Höhenmesser: fast dreitausend Meter. Und Pjotr zog die Maschine nicht hoch. Reichte der Treibstoff nicht mehr?
    Ein Vabanqueflug. Ihre Chancen bestimmt nicht hö-
    her als im Spielsaal. Sie konnten nur hoffen oder beten, wie es William in diesen Minuten bestimmt tat, seine Lippen bewegten sich stumm. Sie waren ganz auf die Echos der Radaranlagen und auf Pjotrs Reak-tionsgeschwindigkeit angewiesen.
    William war ein hervorragender Copilot und un-
    übertroffen in der Kunst des Landens, doch in Gefah-rensituationen reagierte er mitunter eine hundertstel Sekunde zu spät. Jeden Augenblick konnte die Wand eines Dreitausenders vor ihnen auftauchen – gab es nicht sogar Viertausender in den Alpen?
    Rien ne va plus.
    Aber er wußte, worauf er sich einließ, wenn er in 335
    den Kontursessel geschnallt und der Raumgleiter von der Rakete in die Umlaufbahn geschossen wurde: buchstäblich ein Himmelfahrtskommando. Im doppelten Wortsinn.
    Immer noch besser, als Tag für Tag auf der Basis zu hocken, dem endlosen Fluß der Schreckensmel-dungen zuzuhören, die unaufhörlich aus den Lautsprechern drangen – ihnen wurde nichts verheim-licht, sie mußten informiert sein –, heimlich Speeds zu schlucken, weil kein Mensch das aushalten konnte, ohne sich zu dopen, sich wenigstens zu besaufen, sobald der Dienst zu Ende war, den Sold zu verspie-len William nicht, aber der hatte seinen Gott. Auch Pjotr spielte und soff nicht, fixte nicht, schluckte nichts außer Traubenzuckertabletten, Pjotr war ein Fels im Meer der allgemeinen Auflösung. Aber er machte sich mit Flüchen Luft, er beherrschte Flüche aus allen Sprachen Europas, und jetzt fluchte er unentwegt und ungeniert laut vor sich hin.
    »Fuck it. Merde. Porca miseria. Leck mich am Arsch. Jup twoja matj…«
    Unversehens riß die Wolkenschicht auf, sie tauchten in ein von schmutziggrauen, zerfransten Wolken-rändern gesäumtes Loch klarer Luft und in ihm, vielleicht noch tausend Meter entfernt, flog ein Jumbojet!
    Pjotr riß die Maschine hoch, so steil, daß Jonas in den Sitz gepreßt wurde, als würden sie in Baikonur 336
    in den Himmel geschossen, Pjotr mußte alle Siche-rungen herausgerissen haben. William faßte sich schreiend an die Brust, bestimmt hatte es ihm die Rippen zerquetscht, auch Marina schrie.
    »Jump!« brüllte Pjotr. Jonas drückte mit aller Kraft auf den roten Knopf, wurde hochgerissen, daß ihm die Sinne schwanden. Er preßte Luft in die Lungen, wie er es auf der Basis trainiert hatte, schaffte es, die Augenlider um einen schmalen Spalt aufzu-zwingen, sah, wie der Raumgleiter sich haushoch unter ihm in das Leitwerk des Jumbos bohrte, ein Riesenstück blauweißes Metall segelte wie in Zeitlu-pe zu Boden, der Raumgleiter schoß aufheulend ins Tal, zersägte die Luft mit

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