Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
schlossen, Liebster, habe ich die alte Treueformel gesprochen: Ubi tu Gaius, ibi ego Gaia – wo du sein wirst, werde auch ich sein. Das habe ich damals nicht nur gesagt, sondern auch gemeint. Überdies langweilt mich Rom.«
»Langweilt dich? Die schönste Stadt der Erde langweilt dich? Die Perle unter den Metropolen?« Ich war fassungslos.
Claudia nickte einfach. Sie knabberte an einem Apfel und erwiderte: »Ob Rom die schönste Stadt der Welt ist, weiß ich nicht. Ich halte Rom und die Menschen, die hier wohnen, für oberflächlich. Die Gastmähler und Gelage, die Gespräche auf dem Forum, selbst die Zeremonien in den Tempeln sind inhaltsleer und bedeutungslos. Es muss ... es muss mehr als das geben. Etwas, für das es sich wirklich lohnt zu leben.«
Ich starrte Claudia verwundert an, so ernst hatte ich sie vorher nie erlebt.
»Und du meinst, in diesem fernen orientalischen Land könnte es etwas geben, was dich ... äh ... erfüllt?«
»Das mögen die Götter geben, wenn es sie denn gibt«, meinte sie nachdenklich.
»Du zweifelst an unseren Göttern?«
Ich bemühte mich, etwas Entrüstung in meine Stimme zu legen, doch Claudia wischte sie unbekümmert weg.
»Schau sie dir an! Mich erinnern sie zu sehr an Menschen. Sie trinken, essen, lieben, hassen; sie töten und haben alle schlechten Eigenschaften, die du bei den Menschen findest.«
Ich wagte einen Einwand, wurde aber recht brüsk unterbrochen.
»Sie morden und vergewaltigen, sie quälen den Menschen mit unsäglichen Foltern, und sie kennen kaum Erbarmen.«
Claudia hatte sich in Rage geredet, und ihr hübsches Gesicht zeigte das Rot der Erregung, das ich so liebte.
»Und hast du schon einmal erlebt, dass sie dein Gebet erhören? Was geben sie uns zurück für all die Dinge, die wir ihnen in den Tempeln darbringen?«
»Sie ... sie schützen Rom und uns alle, sie ...«
»Und wo waren sie, deine Götter, als Rom von den Galliern eingenommen wurde, als Hannibal vor den Toren stand? Wo, als du und deine Kameraden in den finsteren Wäldern Germaniens vom verräterischen Arminius überfallen wurden? Wenn sie Rom schützen, warum haben sie dann nicht diese furchtbaren Bürgerkriege verhindert, die Rom in den letzten hundert Jahren ausgezehrt haben wie die Seuche einen Kranken?«
Darauf wusste ich keine Antwort, gab aber doch zaghaft zurück: »Also gibt es keine Götter?«
Claudia lächelte nachsichtig. »Manche glauben, wie du sicher weißt, dass es sie gibt, dass sie sich aber weder um uns kümmern noch uns brauchen, nicht wahr?«
»Epicurus?!«
»Ja, die Epikuräer.«
»Du bist einer ihrer Anhänger?«, fragte ich verdutzt.
Doch Claudia schüttelte so entschieden den Kopf, dass ihre hochgetürmte Frisur in bedrohliches Wanken kam. »Gewiss nicht! Lies nach bei Lucrez. Wir bestehen, so sagt er, aus winzigen Teilchen, die nur der Zufall zusammensetzt. Sterben wir, löst sich alles wieder in ein Nichts auf.«
Ich kannte »De rerum natura« gut. Das Hauptwerk des Dichters gehörte zum Pflichtprogramm jeder Bildung. Daher entgegnete ich mit einiger Überzeugung: »Aber damit will er uns nur von der Angst befreien. Wenn nach dem Tode alles zerfällt, dann brauchen wir weder Angst vor dem Tod noch vor den Göttern zu haben, denn es gibt keine Strafe. Keinen finsteren Tartarus, in dem Sisyphus auf ewig den Felsen rollt, kein Tantalus, der ...«
Sie unterbrach mich. »Keine Strafe, aber auch keinen Lohn!«
»Keinen Lohn?«
»Was könnte den Menschen bewegen, ein ... sagen wir anständiges Leben zu führen, wenn es nicht später dafür einen Lohn geben würde?«
»Aber wer ...«
Claudia nippte an dem herrlich kühlen Wein und lächelte mich liebevoll an.
»Ich stelle mir die Götter anders vor.«
»Und wie?«
Sie zögerte einen Augenblick, und ihr Blick richtete sich in weite Ferne.
»Ich weiß es nicht, Liebster, aber wenn ich es gefunden habe, werde ich es wissen. Und jetzt gehe ich hinein. Ich muss Lucilla noch Anweisungen für das Abendessen geben.«
Nachdenklich blieb ich zurück.
XXIV.
Es dauerte lange, bis Hellinger in den Schlaf fand. Unruhig wälzte er sich hin und her. Mal war ihm zu warm, und er riss sich die Decke vom Leib, dann fror er und hüllte sich zähneklappernd bis zum Hals ein.
»Du hättest bei Conny bleiben sollen«, meldete sich leise sein Gewissen. Erst jetzt wurde ihm klar, in welche Gefahr er seine Freundin gebracht hatte. Auf der Rückfahrt hatten sie sich dauernd umgedreht und sich erleichtert gefühlt, dass
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