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Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Bohm
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könne ihr Gepäck auf seinen Wagen lagen, vor den sein Diener die Hunde gespannt hatte. Unter der glühenden Sonne zogen mühsam und schwerfällig Schafe, Ziegen und Hunde die Gepäckwagen. Niemals hätten die Ritter gedacht, dass so mancher auf einem Ochsen reiten musste, ohne dass dies jemand ehrrüchig oder lächerlich gefunden hätte.
    Betrübt ging Bernhard neben Alice, sein gezähmter Edelfalke sei unter den Händen seines Falkners gestorben.
    »Wenn selbst die Vögel kein Wasser mehr finden …«, setzte er bedeutungsvoll hinzu.
    »Meine Jagdhunde keuchen und ich habe große Sorge, dass Rother elendig verendet.«
    Wie alle schnappte Bernhard trotz lechzender Kehle nach Luft, in der Hoffnung, so den Durst zu lindern.
    Sterbende am Wegesrand, denen die Letzte Ölung zuteil wurde. Sterbende ohne geistlichen Beistand, ganz allein, während alle, die noch laufen konnten, Staub aufwirbelnd an ihnen vorbeihetzten. Weiter, weiter, nicht nachdenken.
    Tote, unbestattet am Wegesrand.
    Frühgeburten, Fehlgeburten, Gebärende mit gespreizten Beinen. Eine Frau davor kniend. Sie fasst den Kopf des Kindes, das Kind schreit, schreit um sein Leben. Die Frau legt es nicht der Mutter auf den Bauch. Sie lässt es auf den Boden fallen.
    Noch die Nachgeburt heraus. Die Mutter erhebt sich mühsam, zieht den Rock glatt und dann weiter, weiter, ohne sich umzusehen, das Kind schreiend und verdorrend, sterbend zurücklassend.
    Frauen, die sich neben ihrem Neugeborenen auf dem Boden wälzen, von Sinnen vom Durst, der Sonnenglut, und dort neben ihrem Kindlein sterben.
    Die Körper der Frauen waren ausgedorrt, nicht einen Tropfen Milch konnten sie ihren ausgetrockneten Brüsten entlocken. Für die Neugeborenen und noch zu stillenden Kinder bedeutete das den Tod. Alice fand es schrecklich, sie mochte sich nicht umblicken, wenn sie beim Vorbeilaufen eine ältere Frau aus der Menge der Armen erblickte, wie sie sich dieses in der Sonne vergehenden Menschenkindes erbarmte und es lautlos erstickte.
    Weiter, weiter, nicht hinsehen, nicht nachdenken. Jeder Schritt ist Leben. Jeder Schritt bringt uns dem Wasser näher.
    Nur nicht nachdenken.
    Nicht nachdenken. Nur ein Schritt und noch einer. Nicht nach rechts und links sehen. Nicht auf die anderen achten. Jeder Schritt war Leben.
    Und doch, da war Theresa, die vor einer Frau kniete.
    »Hilf mir!«, rief sie Alice zu. »Bei der nächsten Wehe press das Kind aus dem Bauch heraus.« Theresa fasste den Kopf des Kindes, zog.
    »Mein Kind«, lächelte die Mutter. »Was ist es?«
    »Ein Junge.«
    »Endlich ein Sohn.«
    Die Mutter legte es an die Brust, wieder und wieder. Nichts. Das Kleine saugte. Aber es kam nichts. Das Kind schrie. Die Mutter bekam ein hoffnungsloses, verzweifeltes, eingefallenes Gesicht, das zu sagen schien, ich lege mein Kind trotzdem nicht in den Sand. Doch noch bevor Theresa einen Priester holen konnte, trug sie ihr totes Kind im Arm und dann lag es wie alle anderen im Staub. Ungetauft. Undenkbar bis zu diesem Marsch des Grauens. Was tat man sonst alles, damit ein Neugeborenes ein Christenmensch wurde, bevor es der Erde übergeben ward. Damit es nicht in die Hölle kam.
    ›Lasset die Kindlein zu mir kommen‹, sagt Jesus. Auch ungetauft?

    Eines Abends setzte sich Martin neben Alice. – Sie mieden sich, soweit das möglich war.
    Er sagte bekümmert, es seien heute 500 der Ihren gestorben, Männer wie Frauen und besonders Kinder. Trotzdem habe Fulcher de Chartres bemerkt, ihm erscheine es wie ein Gott gewirktes Wunder, dass, obwohl so viele verschiedene Sprachen gesprochen und alle so sehr leiden würden, die Pilger doch alle Brüder in der Liebe zu Gott und in einem Geist zusammengeschlossen seien. Trotz aller Qualen und Verluste sei der Kampfgeist des Heeres ungebrochen.
    »Die Neugeborenen, die am Wegesrand verdorren und sterben müssen, haben keinen Kampfgeist, sie wollen nur leben, aber dürfen, können es nicht«, wandte Alice ein.
    Beim Einschlafen, wie war ihre Kehle ausgetrocknet, wie war ihr schwindelig, wie fieberte sie, da plagte Alice die Vorstellung, sie sei noch ein Kind und begegne ihrer eigenen Mutter. Die Vision verschwand, Alice wusste schließlich nicht einmal, wie ihre Mutter ausgesehen, nur dass sie rotes Haar gehabt hatte. Doch im Traum kehrte die Mutter zurück. Sie stieß ihre Tochter zur Treppe, zur verbotenen Treppe. Steil führten die steinernen Stufen vom Tanzsaal hinab bis auf den breiten Gang mit den quaderförmigen Steinen, auf die ihre Mutter

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