Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Geschlechts. Auf mir allein liegt die Schuld und Gottes Zorn. Du hast recht, ich war es, der dich schamlos verführt hat. Du warst 15 Jahre alt, als du das Kreuz nahmst, und engelsgleich. Unschuldig hast du Passau verlassen und erreichst Jerusalem als Sünderin. Doch ich hoffe, ich bete, dir mag vergeben werden, denn du hast ein Kind empfangen. Ich aber habe die weitaus größere Schuld auf mich geladen. Nicht nur, dass ich deine Unschuld missbraucht habe, sondern ich habe mich als Gott aufgespielt, als ich dir versprach, dich lebendig und gesund nach Jerusalem zu führen. Jetzt, da fast alle tot sind, die vor drei Jahren mit uns die Pilgerfahrt begonnen haben, weiß ich, welch maßlose Selbstüberhebung in dem Versprechen lag.
Ich bereue es und werde in Jerusalem für meinen Frevel büßen.
Doch dann denke ich bisweilen, dass ich nur Gottes Werkzeug bin, dass meine Begierde nichts als ein Mittel war, um dich zu beschützen, um dich aufzuheben für etwas Großes, was Gottes Wille ist.«
Fassungslos sah sie Bernhard an. Wie konnte er nur … Dann nahm sie sich zusammen und entgegnete:
»Mein Wille ist es nicht, etwas Größeres vor Gott zu sein, als ich bin. Und was ich bin, ist dir nicht genug.« Alice hatte sich nun ganz aufgesetzt und die Decke über die Brust gezogen.
»Was aber Euch betrifft, so habe ich nie geahnt, dass Ihr Euren Schutz als Frevel versteht. Ihr seid Ritter und zum Schutz der Schwachen und Wehrlosen berufen. Nur mich habt Ihr nicht vor mir selbst geschützt.« Sie lachte bitter. »Um Euer Seelenheil aber braucht Ihr Euch gewiss nicht zu sorgen. Schließlich hat uns der Papst die Generalabsolution versprochen, sodass uns alle irdischen und himmlischen Strafen erlassen werden.«
Sie erhob sich, ohne darauf zu achten, dass Bernhard sie mit einem werbend gesprochenen »Alice« zurückzuhalten versuchte.
Entschlossen, sich von Bernhard fern zu halten, zog sie sich an und verließ den Raum. Beim Hinausgehen hörte sie das leise Klimpern der winzigen Glöckchen und Perlen an ihrem Ohrgehänge.
Von draußen erschallten zum letzten Mal die Hörner zum Aufbruch.
Entschlossenheit zu zeigen, dafür bot sich keine Gelegenheit.
Bernhard war zusammen mit Balduin von Le Bourg und Tankred, ritt zwischendurch sogar einmal an Herzog Gottfried heran und sprach mit ihm, so vermutete Alice, über sein kleines, ihm zustehendes Lehen in Niederlothringen, das er sicher noch vor der Eroberung Jerusalems aus den Händen des Heerführers erhalten wollte.
Alice selbst fühlte sich elend. Sie ging zu Fuß, das Pferd am Zügel, das Kind auf dem Rücken. Ihre Stute lahmte, seitdem sie das Pferd bei ihrer Ankunft in Ramla Kaspar übergeben hatte. Der Junge versicherte, er habe keine Ahnung, wie das passiert sei, und sah sie dabei mit seinen schönen dunklen Augen fest und treuherzig an. Alice glaubte ihm kein Wort. Die Kinderfrau neben ihr keuchte in der morgendlichen Hitze, denn auch sie ging zu Fuß. Bernhard hatte in aller Eile ihr Pferd an einen Ritter verkauft, dessen Hengst sich bereits auf dem Gebirgspass, der Leiter von Tyros, das Bein gebrochen hatte und getötet werden musste.
Um Alice herum, Menschen, vor allem Frauen, an deren Schweißgeruch Alice nicht vorbeiriechen konnte. Auch sie fand, dass sie stank, obwohl Bernhard in ihrer Liebesgrube durchaus täglich für Wasser hatte sorgen lassen. Beim Gehen fasste sie möglichst unauffällig hinten an ihren Rock, ob die Feuchtigkeit allmählich durchsickerte. Zu ihrer Erleichterung war noch nichts zu fühlen. Offenbar war sie nicht schwanger, was auch wegen des Stillens unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen war. Ob sie darüber erleichtert oder betrübt sein sollte, wusste sie nicht so genau. Vielleicht hätte ein zweites Kind sie noch stärker an Bernhard gebunden, vielleicht aber auch nicht. Weit vor sich sah sie Elvira von Léon-Kastilien, Gräfin von Toulouse, aufrecht auf ihrer weißen Stute reiten. Sie müsste bald mit ihrem Kind niederkommen. Sterndeuter, so wurde erzählt, hätten ihr prophezeit, sie würde einen Jungen gebären. Alice wollte an etwas anderes denken.
Von überall hörte sie das Getuschel, das erbittert und zornig gesprochene Wort »Ägypten!«
Eine Gruppe verwahrlost aussehender Kinder schrie im Staccato: »Ägypten, Arsch – Arsch!« Das Geschrei galt einem Vorschlag, von wem auch immer er geäußert sein mochte, aber natürlich kam dafür nur Graf Raimond von Toulouse infrage, also die Entrüstung galt dem Vorschlag, nach
Weitere Kostenlose Bücher